Gehetzt
existierte die Schaufel sicherlich nicht mehr. Im Grunde ist es Zeitverschwendung, dachte Barnes. Er konnte nur hoffen, daß der ganze verdammte Krieg letztlich nicht nur Zeitverschwendung war. Er sprach mit Colburn über die Gesamtlage, fand aber schnell heraus, daß der Kanadier ihm kaum Neues berichten konnte.
»Nach meinen Erkenntnissen müßte das britische Expeditionskorps nördlich dieser Linie stehen, und links daneben die belgische Armee. Wir befinden uns mitten im weiten Niemandsland…«
»In der Lücke«, unterbrach ihn Colburn.
»Sie meinen, sie bezeichnen das tatsächlich so?«
»Ja, jedenfalls bei unseren Einsatzbesprechungen. Es stimmt, Sie stehen mit Ihrem Panzer genau in der Mitte, doch gibt es unterschiedliche Ansichten über die Größe der Lücke. Meine Schwadron war auf die Hunnen angesetzt, doch hatten wir auch Befehl, jeden Panzer abzuschießen, den wir sichteten. Die beim Stab vermuten, daß die Deutschen hier bald Verstärkung nachkommen lassen.«
»Da vermuten sie richtig – die Verstärkung kam heute morgen hier vorbei.«
»Schade, schon wieder zu spät.« Colburn lächelte schwach.
»Um auf die Sache mit den Panzern zurückzukommen: Ich gab zu bedenken, daß wir möglicherweise dabei unsere eigenen Jungs abschießen könnten. Ihnen wird die Antwort, die ich zu hören bekam, sicher nicht schmecken, Barnes. Die Herren vom Stab vertraten einfach den Standpunkt, daß eine große Panzerkolonne auf einer Straße eine deutsche sein müßte. Die Briten besäßen nur eine Handvoll Panzer, und die Franzosen hätten die ihre klugerweise bei der überstürzten Zurücknahme der Front alle in die Luft gejagt.«
»Sie wissen also anscheinend auch nicht viel mehr als ich, Colburn.«
»Sergeant, Sie stecken hier mitten im Mist. Meiner Meinung nach hängen Sie viel zu sehr im Geschehen, um die Gesamtsituation beurteilen zu können.«
»Darüber, Colburn, versuche ich ja die ganze Zeit etwas von Ihnen zu erfahren. Sie werden doch, ehe Sie starten, über die Lage genauestens informiert. Sie überfliegen die Kampfzone…
Wenn jemand einen genauen Überblick haben müßte, dann sind Sie das.«
»O ja, den habe ich auch. Doch aus Ihren Fragen entnehme ich, daß Sie von mir ein klares Bild erwarten, eine hübsche kleine Karte, auf der die Deutschen schön ordentlich auf der einen und Ihre Einheiten und die der Franzosen auf der anderen Seite stehen. Die kann ich Ihnen nicht zeichnen, Sergeant. Und ich bin der Meinung – ich betone, es ist meine Meinung –, daß, wenn dieser Krieg eines Tages mal Geschichte geworden ist, die Historiker niemals genau sagen können, welche Einheit zu welchem Zeitpunkt exakt hier oder dort gestanden ist. Diese Schlacht hier ist das größte Durcheinander, das die Kriegsgeschichte je gesehen hat.«
»Was wollen Sie mir eigentlich damit sagen?«
»Daß jede Meldung oder Information einen Dreck wert ist.
Diese Knaben da, die Herren Generäle, verzapfen sie ganz nach Gutdünken. Wie Wellington schon im Krieg gegen Napoleon auf der Pyrenäen-Halbinsel gesagt hat: Es ist, als ob man ein Seil knüpft. Man macht einen Knoten, danach einen zweiten und hofft das Beste. Versuchen Sie mir nun nicht einzureden, daß die Brüder in der Kampfzone nach einem bestimmten Plan vorgehen.«
»Auch die Deutschen nicht?« fragte Barnes ungerührt.
»Nicht einmal diese Bastarde. Jetzt nicht mehr. Fragen Sie mich ruhig, woher ich das wissen will. Ich werde Ihnen antworten: Aus meiner Intuition heraus und aufgrund der Tatsache, daß ich an der Universität als zweites Studienfach Kriegsgeschichte belegt hatte. Um eines jedenfalls wette ich mit Ihnen um jeden Betrag, Barnes: In diesem Augenblick sind die deutschen Generäle so berauscht von ihrem Erfolg, daß sie überhaupt nicht wissen, was sie damit anfangen sollen. Bei den Generälen gibt es immer Vorwärtsdrängende und Bremser. Die einen wollen weiter, stur vorwärts, getreu dem Motto: Wirf den Feind in die See. Die anderen schreien Zeter und Mordio, man würde sich übernehmen und sollte sich besser eingraben, ehe einem der Kopf abgeschlagen wird.«
»Das alles hilft mir nicht weiter«, bemerkte Barnes nur.
»Also gut, vielleicht hilft Ihnen das. Ich flog heute aus südöstlicher Richtung über Calais. Ich bin fast hundertprozentig sicher, daß es da noch ein zweites Loch gibt zwischen der Küstenstraße und der Hauptkampfzone im Osten.
Und das könnte unsere Richtung sein – unser Schlupfloch.«
»Es ist unsere
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