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Gehetzte Uhrmacher

Titel: Gehetzte Uhrmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Deaver
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allen Umständen, dass Sie in unserem Team sind, und eine andere Möglichkeit ist mir nicht eingefallen. Ich habe bereits mündlich Bericht erstattet. Die Sache ist vollständig vom Tisch. Hören Sie, können wir das nicht einfach hinter uns lassen und unsere Arbeit fortsetzen?«
    Rhyme blickte zu Sachs, und was ihm am meisten wehtat, war ihre Reaktion auf den Vorfall: Sie war nicht länger wütend. Es schien ihr peinlich zu sein, eine solche Kontroverse verursacht und ihre Kollegen behelligt zu haben, die dadurch von ihrem eigentlichen Auftrag abgelenkt wurden. Es war absolut ungewöhnlich – und daher so schwer zu ertragen -, Amelia Sachs verlegen und verwundbar zu sehen.
    Sie gab Baker die E-Mail zurück. Ohne ein weiteres Wort nahm sie ihre Jacke, ging ruhig zur Tür hinaus und zog dabei ihren Wagenschlüssel aus der Tasche.

... Zweiundzwanzig

    Vincent Reynolds musterte die Frau in dem Restaurant, eine schlanke Brünette, ungefähr dreißig, mit Pullover. Ihr kurzes Haar war nach hinten gekämmt und wurde dort von mehreren Spangen gehalten. Duncan und er waren ihr von ihrer alten Wohnung in Greenwich Village gefolgt, erst zu einer Gaststätte und nun hierhin, zu einem Kaffeehaus in einigen Blocks Entfernung. Die Frau und ihre Freundin, eine Blondine in den Zwanzigern, hatten viel Spaß, lachten und redeten ohne Unterlass.
    Lucy Richter genoss die wenige Zeit, die ihr auf Erden noch bleiben sollte.
    Duncan lauschte der klassischen Musik, die aus den Lautsprechern des Buick klang. Er war so nachdenklich und ruhig wie immer. Manchmal konnte man beim besten Willen nicht erkennen, was in ihm vorging.
    Vincent hingegen spürte den Hunger in sich aufsteigen. Er aß einen Schokoriegel, dann noch einen.
    Scheiß auf das große Ganze. Ich brauch’ne Frau...
    Duncan sah auf seine goldene Taschenuhr und zog sie dann behutsam auf.
    Vincent hatte diese Uhr schon einige Male zu Gesicht bekommen, aber er war jedes Mal aufs Neue beeindruckt. Duncan hatte ihm erklärt, sie stamme aus der Werkstatt eines gewissen Breguet, eines französischen Uhrmachers, der vor langer Zeit gelebt habe. (»Meiner Meinung nach der beste Uhrmacher, den es je gegeben hat.«)
    Die Uhr war schlicht. Sie hatte ein weißes Zifferblatt mit römischen Ziffern und ein paar kleineren Anzeigen für die Mondphasen und einen ewigen Kalender. Sie verfügte außerdem über einen mechanischen Schutz vor starken Erschütterungen, den Breguet höchstselbst erfunden hatte.
    »Wie alt ist eigentlich Ihre Uhr?«, fragte Vincent nun.

    »Sie wurde im Jahr zwölf angefertigt.«
    »Zwölf? Zur Zeit der Römer?«
    Duncan lächelte. »Nein, bitte entschuldige. Das ist das Datum auf der originalen Kaufquittung, also vermutlich auch das Jahr der Fertigung. Ich meine das Jahr zwölf im französischen Revolutionskalender. Nach dem Sturz der Monarchie wurde in der Republik eine eigene Zeitrechnung eingeführt, beginnend im Jahre 1792. Ihr lag ein kurioses Konzept zugrunde. Jede Woche hatte zehn Tage, jeder Monat dreißig. Alle sechs Jahre gab es ein Schaltjahr, das ausschließlich der körperlichen Ertüchtigung gewidmet war. Die Regierung hielt diesen Kalender aus irgendeinem Grund für egalitärer als den herkömmlichen. Aber er war zu unhandlich und ist nur vierzehn Jahre in Kraft gewesen. Wie so viele revolutionäre Ideen – auf dem Papier sehen sie gut aus, aber sie sind nicht besonders praktikabel.«
    Duncan betrachtete die goldene Uhr voller Zuneigung. »Ich mag Uhren aus jener Zeit. Damals bedeutete eine Uhr, dass man Macht hatte. Nicht viele Leute konnten sich eine leisten. Der Eigentümer einer Uhr war ein Mann, der die Zeit kontrollierte. Du musstest zu ihm kommen und warten, bis der von ihm festgelegte Zeitpunkt für die Unterredung erreicht war. Man erfand Uhrketten und passende kleine Taschen an der Kleidung, sodass man den Träger einer Uhr auch dann erkannte, wenn er sie gar nicht in der Hand hatte. Uhrmacher genossen seinerzeit allerhöchstes Ansehen.« Duncan hielt inne. »In gewisser Weise könnte man sagen, sie waren wie Götter.«
    Vincent zog eine Augenbraue hoch.
    »Im achtzehnten Jahrhundert gab es eine philosophische Bewegung, die sich der Uhr als einer Metapher bediente. Gott habe demnach den Mechanismus des Universums geschaffen, ihn aufgezogen und in Gang gesetzt. Wie eine Art fortdauernde Uhr. Gott wurde der ›große Uhrmacher‹ genannt. Man mag es glauben oder nicht, aber diese Philosophie hatte viele Anhänger. Und sie verlieh den Uhrmachern

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