Gehetzte Uhrmacher
einen nahezu priestergleichen Status.«
Noch ein Blick auf die Breguet. Er steckte sie weg. »Wir sollten uns auf den Weg machen«, sagte Duncan und wies auf die Frauen. »Die beiden werden bald aufbrechen.«
Er ließ den Motor an, setzte den Blinker und bog auf die Fahrbahn
ein. Zurück blieb die Frau, der einer der Männer bald das Leben und der andere kurz darauf die Würde nehmen wollte. Allerdings noch nicht in dieser Nacht, denn Duncan hatte in Erfahrung gebracht, dass der Ehemann des Opfers jeden Moment von der Arbeit nach Hause kommen konnte.
Vincent atmete tief durch und bemühte sich, den Hunger zu zügeln. Er aß eine Tüte Chips. »Wie werden Sie es tun?«, fragte er. »Die Frau töten, meine ich.«
Duncan schwieg eine Weile. »Du hast mir gestern Abend eine Frage gestellt«, sagte er dann. »Wie lange es gedauert hat, bis die ersten beiden Opfer tot waren.«
Vincent nickte.
»Nun, bei Lucy wird es sehr lange dauern.« Das Buch über die Foltertechniken befand sich zwar nicht mehr in ihrem Besitz, aber Duncan hatte sich offenbar einen Großteil des Inhalts eingeprägt. Er beschrieb nun, wie er die Frau umbringen würde. Die Methode hieß »Ertrinken auf dem Trockenen«. Man hängt das Opfer kopfüber an den Füßen auf. Dann klebt man ihm den Mund zu und schüttet ihm Wasser in die Nase. Solange man der Person zwischendurch Luft lässt, kann man sich mit ihrem Tod so viel Zeit lassen, wie man möchte.
»Ich werde versuchen, dass sie eine halbe Stunde durchhält. Oder vierzig Minuten, falls möglich.«
»Sie hat es verdient, was?«, sagte Vincent.
Duncan hielt inne. »Die Frage, die du eigentlich stellen möchtest, ist die nach dem Grund, aus dem ich ausgerechnet diese Leute töte.«
»Na ja...« Das stimmte.
»Ich habe es dir nie erzählt.«
»Nein, haben Sie nicht.«
Vertrauen ist fast so wertvoll wie Zeit...
Duncan schaute kurz zu Vincent und dann wieder auf die Straße. »Weißt du, uns allen ist auf dieser Erde nur eine gewisse Zeitspanne vergönnt. Manchmal nur Tage oder Monate. Wir hoffen, es mögen viele Jahre sein.«
»Richtig.«
»Es ist, als hätte Gott – oder woran auch immer du glauben magst – eine gewaltige Liste, auf der sämtliche Lebewesen der Welt
verzeichnet sind. Wenn die Zeiger der göttlichen Uhr einen festgelegten Punkt erreichen, ist es vorbei. Ihre Zeit ist abgelaufen... Nun, ich habe meine eigene Liste.«
»Zehn Leute.«
»Zehn Leute... Der Unterschied ist, dass Gott keinen guten Grund hat, die Menschen zu töten. Ich schon.«
Vincent blieb still. Einen Augenblick lang war er weder clever noch hungrig. Er war einfach nur Vincent, der aufmerksam zuhörte, während ein Freund ihm etwas Wichtiges offenbarte.
»Ich halte es mittlerweile für vertretbar, dir diesen Grund zu verraten.«
Und das tat er dann auch.
Der Mond spiegelte sich als weißer Lichtstreifen auf der Motorhaube.
Amelia Sachs fuhr mit hoher Geschwindigkeit am East River entlang. Das blinkende Signallicht klebte mit seinem Saugnapf auf dem Armaturenbrett.
Sie verspürte eine erdrückende Last, das Gewicht der Konsequenzen, die sich aus den Ereignissen der letzten paar Tage ergaben: die Wahrscheinlichkeit, dass korrupte Polizeibeamte mit den Mördern von Ben Creeley und Frank Sarkowski unter einer Decke steckten. Die Gefahr, dass Inspector Flaherty ihr den Fall jederzeit wegnehmen könnte. Dennis Bakers Schnüffeleien und die Tatsache, dass die Polizeiführung ihr wegen Nick nicht vertraute. Deputy Inspector Jefferies’ Wutausbruch.
Und vor allem die furchtbaren Neuigkeiten über ihren Vater.
Was nützt es denn, den Job zu erledigen, hart zu arbeiten, seinen Seelenfrieden zu opfern und das Leben zu riskieren, wenn der Polizeiberuf einem letzten Endes jeglichen Sinn für Anstand raubt?
Sie legte den vierten Gang ein und beschleunigte auf hundertzehn. Der Motor heulte wie ein Wolf um Mitternacht.
Kein Cop war besser gewesen als ihr Vater, zuverlässiger, gewissenhafter. Und sieh dir nur an, was trotzdem aus ihm geworden war... Aber dann wurde ihr klar, dass sie es nicht auf diese Weise betrachten konnte. Nein, nein. Nichts war aus ihm geworden . Er hatte sich aus freien Stücken dazu entschieden.
Sie hatte Herman Sachs als einen ruhigen, humorvollen Mann
in Erinnerung, der seine Freizeit gern mit Freunden verbracht und sich Autorennen angesehen hatte oder der mit seiner Tochter über die Schrottplätze von Nassau County gestreift war, um seltene Vergaser, Dichtungsringe oder
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