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Gehetzte Uhrmacher

Titel: Gehetzte Uhrmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Deaver
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Auspuffanlagen aufzustöbern. Doch nun wusste sie, dass es sich bei dieser Persönlichkeit lediglich um eine Fassade gehandelt haben musste. Und den dahinter verborgenen, viel dunkleren Charakter hatte sie nie zu Gesicht bekommen.
    Amelia Sachs wurde von einer nervösen Kraft angetrieben, die sie zweifeln und hadern ließ und andererseits dazu zwang, mitunter große Risiken einzugehen. Sie litt darunter. Aber die Belohnung dafür war die Freude, wenn ein unschuldiges Leben gerettet oder ein gefährlicher Täter verhaftet werden konnte.
    Diese innere Kraft drängte sie in eine bestimmte Richtung; ihr Vater war anscheinend in eine andere Richtung gedrängt worden.
    Das Heck des Chevy fing an zu schlingern. Amelia brachte den Wagen mühelos unter Kontrolle.
    Sie fuhr über die Brooklyn Bridge und schlitterte die Ausfahrt des Highway hinunter. Es folgte ein Dutzend weiterer Abzweigungen, hier entlang, da entlang, immer in Richtung Süden.
    Schließlich fand sie den Pier, nach dem sie gesucht hatte, und rammte ihren Fuß auf das mittlere Pedal. Der Wagen kam am Ende einer drei Meter langen Bremsspur zum Stehen. Sachs stieg aus und knallte die Tür zu. Dann durchquerte sie einen kleinen Park und kletterte über eine Betonabsperrung. Sie ignorierte das Warnschild und ging im gleichmäßig pfeifenden Wind hinaus auf den Steg.
    Mann, war das kalt.
    An dem niedrigen Holzgeländer blieb sie stehen und packte es mit beiden Händen. Erinnerungen stürmten auf sie ein:
    Sie war zehn Jahre alt, und an einem warmen Sommerabend stieg ihr Vater mit ihr auf den Mast, der immer noch auf halber Strecke des Piers stand. Er hielt sie ganz fest, aber sie hatte keine Angst, denn er hatte ihr im Freibad das Schwimmen beigebracht. Falls eine Bö sie vom Pier in den East River wehen würde, könnten sie beide einfach lachend und um die Wette zurück zu der Leiter schwimmen, wieder hinaufsteigen und vielleicht sogar noch einmal hineinspringen, Hand in Hand in das trübe warme Wasser drei Meter unter ihnen.

    Sie war vierzehn Jahre alt und schaute hier neben ihrem Vater auf den Fluss hinaus. Herman hatte einen Kaffee in der Hand, sie eine Limonade, und er sprach über Rose. »Deine Mutter ist manchmal launisch, Amie. Das heißt nicht, dass sie dich nicht lieb hat. Vergiss das nicht. Sie ist eben so. Aber sie ist stolz auf dich. Weißt du, was sie mir neulich erst erzählt hat?«
    Und später, nachdem sie Polizistin geworden war, standen sie hier neben genau demselben Camaro, mit dem sie heute Nacht hergekommen war (wenngleich damals noch mit gelber Lackierung, einem wunderschönen Farbton für einen so rassigen Sportwagen). Sachs trug ihre Uniform, Herman sein Tweedjackett und eine Kordhose.
    »Ich hab ein Problem, Amie.«
    »Ein Problem?«
    »Was Gesundheitliches.«
    Sie hatte abgewartet und sich die Nagelhaut des Daumens aufgekratzt.
    »Ein kleiner Krebs. Nichts Ernstes. Ich muss mich behandeln lassen.« Er schilderte ihr die Einzelheiten – er war gegenüber seiner Tochter immer offen gewesen -, und dann wurde er ungewöhnlich ernst und schüttelte den Kopf. »Aber da ist noch etwas... Ich habe gerade erst fünf Dollar für einen Haarschnitt ausgegeben, und nun werden mir alle Haare ausfallen.« Er rieb sich den Scheitel. »Hätte ich mir doch bloß dieses Geld gespart.«
    Nun liefen ihr Tränen über die Wangen. »Verdammt noch mal«, murmelte Sachs. Aufhören.
    Aber sie konnte nicht. Die Tränen rannen weiter, und die eiskalte Feuchtigkeit stach ihr ins Gesicht.
    Sie ging zum Wagen, ließ den großen Motor an und fuhr zurück zu Rhyme. Als sie dort eintraf, lag er bereits oben im Bett und schlief.
    Sachs ging in den Trainingsraum, wo Pulaski die Tabellen über die Fälle Creeley und Sarkowski angelegt hatte. Sie musste unwillkürlich lächeln. Der eifrige Neuling hatte nicht nur die Tafeln hier versteckt, sondern auch ein Laken darüber ausgebreitet. Amelia nahm das Stück Stoff herunter, las die saubere Handschrift und fügte dann selbst einige Einträge hinzu.

MORD AN BENJAMIN CREELEY
    • Creeley, 56 Jahre alt, hat sich mit einer Wäscheleine vermeintlich selbst erhängt. Hatte jedoch gebrochenen Daumen, konnte keine Schlinge knüpfen.
    • Abschiedsbrief (wg. Depressionen) wurde am Computer verfasst. Opfer war zwar deprimiert, wirkte jedoch nicht selbstmordgefährdet; keine Vorgeschichte hinsichtlich mentaler/emotionaler Probleme.
    • Ungefähr an Thanksgiving sind zwei Männer in sein Haus eingebrochen und haben eventuell Beweise

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