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Gehetzte Uhrmacher

Titel: Gehetzte Uhrmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Deaver
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ganzer langer Tag an. Kurz vor drei Uhr schlief Amelia endlich ein.

ZWEITER TEIL
    MITTWOCH, 9.02 UHR
    Die Zeit ist das Feuer, in dem wir brennen.
     
Delmore Schwartz

... Dreiundzwanzig

    Lincoln Rhyme war schon seit mehr als einer Stunde wach. Ein junger Beamter der Küstenwache hatte eine Männerjacke, Größe 48, vorbeigebracht, die aus dem New Yorker Hafenbecken geborgen worden war. Der Kapitän des Boots vermutete, es könne sich um ein Kleidungsstück des vermissten Opfers handeln, denn beide Ärmel waren blutgetränkt und die Manschetten aufgeschlitzt.
    Die Jacke war bei Macy’s gekauft worden; das Fabrikat entsprach der dortigen Hausmarke. Davon abgesehen fanden sich keine Spuren oder Hinweise, die auf den Eigentümer verwiesen hätten.
    Rhyme war mit Thom im Schlafzimmer. Der Betreuer schloss soeben die allmorgendliche Prozedur ab, die aus den physiotherapeutischen Übungen und dem bestand, was Thom vornehm als »Hygienepflicht« bezeichnete. (Rhyme sprach eher vom »Scheißeschaufeln«, meist aber nur dann, wenn leicht zu schockierende Besucher anwesend waren.)
    Amelia Sachs kam die Treppe herauf und ins Zimmer. Sie warf ihre Jacke auf einen Stuhl, ging an Rhyme vorbei und zog die Vorhänge auf. Dann sah sie zum Fenster hinaus in den Central Park.
    Thom spürte sofort, dass etwas in der Luft lag. »Ich gehe und mache Kaffee«, sagte er. »Oder Toast. Oder irgendwas.« Er verschwand und schloss die Tür hinter sich.
    Was ist denn bloß jetzt wieder los?, dachte Rhyme missmutig. Er hatte sich in letzter Zeit um mehr persönliche Probleme kümmern müssen, als ihm lieb war.
    Amelias Augen waren immer noch auf den gleißend hellen Park gerichtet.
    »Und was war diese wichtige Besorgung, die du unbedingt erledigen wolltest?«, fragte er.
    »Ich bin bei Argyle Security gewesen.«
    Rhyme war erstaunt. Er achtete genau auf ihr Gesicht. »Das sind
die, die dich angerufen haben, als in der Times der Artikel über unseren Illusionistenfall erschienen ist.«
    »Richtig.«
    Argyle war ein internationales Unternehmen und auf Personenschutz für leitende Angestellte sowie auf Verhandlungen mit Kidnappern spezialisiert, denn in manchen Ländern kam es häufig vor, dass die Mitarbeiter westlicher Konzerne entführt wurden. Man hatte Sachs dort einen Job angeboten, bei dem sie doppelt so viel wie als Polizistin verdienen würde. Und man hatte ihr zugesagt, dass es ihr fast überall gestattet sein würde, eine verdeckte Waffe zu tragen. Kaum eine Sicherheitsfirma besaß derart weitreichende Befugnisse. Hinzu kam das Versprechen, sie an exotische und gefährliche Orte zu schicken. Das alles war durchaus nach Amelias Geschmack, obwohl sie das ursprüngliche Angebot umgehend abgelehnt hatte.
    »Und wozu?«
    »Ich höre auf, Rhyme.«
    »Du quittierst den Dienst? Bist du dir sicher?«
    Sie nickte. »Ja, so ziemlich. Ich möchte mal was anderes ausprobieren. Ich kann auch da eine Menge bewirken. Familien bewachen, Kinder beschützen. Die Firma hat viele Antiterroraufträge.«
    Nun starrte er ebenfalls zum Fenster hinaus auf die reglosen kahlen Bäume des Central Park. Er dachte an sein Gespräch mit Kathryn Dance über die Anfänge seiner Therapie. Ein scharfsinniger junger Kriminalpsychologe namens Terry Dobyns hatte zu ihm gesagt: »Nichts dauert ewig.« Er hatte damit die Depressionen gemeint, unter denen Rhyme damals litt.
    Auf einmal gewann dieser Satz eine ganz andere Bedeutung und ging Rhyme nicht mehr aus dem Sinn.
    Nichts dauert ewig...
    »Aha.«
    »Ich glaube, ich muss, Rhyme. Ich muss.«
    »Wegen deines Vaters?«
    Sie nickte, vergrub die Finger im Haar, kratzte sich. Zuckte bei dem Schmerz zusammen – oder bei dem Gedanken an ein anderes Leid.
    »Das ist doch verrückt, Sachs.«
    »Ich glaube nicht, dass ich noch länger Polizistin sein kann.«

    »Findest du diesen Schritt nicht ein wenig übereilt?«
    »Ich habe die ganze Nacht darüber nachgedacht. Noch nie im Leben habe ich mir etwas so gründlich durch den Kopf gehen lassen.«
    »Nun, dann denk weiter darüber nach. Du kannst eine solche Entscheidung nicht treffen, nachdem du kurz zuvor eine schlechte Nachricht erhalten hast.«
    »Eine schlechte Nachricht ? Alles, was ich über Dad gedacht habe, war eine Lüge.«
    »Nicht alles«, widersprach Rhyme. »Dieser eine Teil seines Lebens.«
    »Aber der wichtigste Teil. Er war in erster Linie Polizist, Rhyme.«
    »Das liegt schon lange zurück. Als der Sechzehnte-Avenue-Club aufgeflogen ist, warst du noch ein kleines

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