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Gehetzte Uhrmacher

Titel: Gehetzte Uhrmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Deaver
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gehen.«
    »Ich möchte, dass du verstehst...«
    »Da gibt es nichts zu verstehen«, sagte er und klang dabei, wie er fand, auf wunderbare Weise unvoreingenommen. »Wir müssen einen Mörder fangen. Das ist alles, womit wir uns beschäftigen sollten.«
    Er ließ sie allein im Schlafzimmer zurück und fuhr mit dem winzigen Aufzug hinunter zum Labor, wo Mel Cooper bereits angefangen hatte.
    »Das Blut auf der Jacke ist AB positiv. Genau wie auf dem Pier.«
    Rhyme nickte. Dann ließ er den Techniker im Jet Propulsion Lab der NASA anrufen und nach den ASTER-Bildern forschen – den Thermalaufnahmen, mit denen sie die frisch geteerten Dächer zu finden hofften.
    In Kalifornien war es noch früh, aber Cooper bekam trotzdem jemanden an den Apparat und konnte ihn dazu bewegen, die Bilder
herauszusuchen und ihnen zu überspielen. Wenig später trafen die Dateien ein. Die Aufnahmen waren eindrucksvoll, aber nicht besonders hilfreich. Genau wie Sellitto vorausgesehen hatte, gab es Hunderte oder gar Tausende von Gebäuden mit starken Hitzequellen, und das System machte keinen Unterschied zwischen Häusern, die ein neues Dach bekamen, und Häusern, die sich im Bau befanden, mit Fernwärme beheizt wurden oder einfach besonders heiße Schornsteine hatten.
    Rhyme fiel nun auch nichts Besseres mehr ein, als die Einsatzzentrale anzurufen und sie zu bitten, jeden tätlichen Angriff oder Einbruch, der in der Nähe eines Hauses mit aktuellen Dacharbeiten stattfand, sofort an ihn weiterzumelden.
    Die Frau am anderen Ende zögerte und sagte, sie würde einen entsprechenden Vermerk in den Hauptcomputer eingeben.
    Ihr Tonfall ließ erkennen, was sie dachte: Rhyme klammerte sich an einen Strohhalm.
    Was sollte er dazu sagen? Sie hatte Recht.
     
    Lucy Richter schloss die Wohnungstür und legte die Riegel vor.
    Dann hängte sie ihren Mantel auf sowie den Kapuzenpullover, auf dem vorn 4. Infanteriedivision, Fort Hood und hinten der Wahlspruch des Heeresverbands aufgedruckt war: Standhaft und treu.
    Ihre Muskeln schmerzten. Sie hatte auf dem Laufband des Fitnesscenters acht Kilometer absolviert, in gutem Tempo und bei neunprozentiger Steigung, danach eine halbe Stunde Liegestütze und Rumpfbeugen. Auch das verdankte sie dem Militärdienst: Sie hatte gelernt, Muskelkraft zu schätzen. Man konnte körperlichem Training nachsagen, was man wollte, es als Eitelkeit und Zeitverschwendung verspotten, aber es steigerte eindeutig die Leistungsfähigkeit.
    Lucy setzte Teewasser auf, nahm sich einen Donut mit Zuckerguss aus dem Kühlschrank und dachte über den bevorstehenden Tag nach. Es gab jede Menge zu erledigen: Sie wollte einige Anrufe tätigen, E-Mails schreiben, Kekse backen und für die Party am Donnerstag einen ihrer berühmten Käsekuchen vorbereiten. Vielleicht würde sie auch einfach nur einen Einkaufsbummel mit Freunden machen und sich den Nachtisch aus einer Bäckerei besorgen. Oder sie könnte mit ihrer Mutter zu Mittag essen.

    Oder sich ins Bett legen und Soaps gucken. Es sich gut gehen lassen.
    Sie stand am Anfang zweier paradiesischer Wochen – weit weg von dem Land des bitteren Nebels -, und sie würde jede einzelne Minute genießen.
    Bitterer Nebel …
    Ein einheimischer Polizist außerhalb von Bagdad hatte diesen Ausdruck benutzt und damit den Dampf und Qualm gemeint, der nach der Explosion einer ISL – einer improvisierten Sprengladung – in der Luft hing.
    In einem Kinofilm simulierte man Explosionen einfach nur dadurch, dass man Benzin auflodern ließ. Sie waren sofort wieder vorbei und hinterließen nichts außer dem gespielten Entsetzen der Hauptfiguren. In der Wirklichkeit ließ eine ISL einen dicken bläulichen Dunst zurück, der stank und in den Augen und Atemwegen brannte. Er bestand aus Staub, verbrannten Chemikalien sowie verdampften Haaren und Haut, und es dauerte Stunden, bis er sich legte.
    Der bittere Nebel war ein Symbol des Grauens dieser neuen Art von Krieg. Man konnte niemandem trauen außer den eigenen Kameraden. Es gab keine Kampflinien. Es gab keine Fronten. Und man wusste nie, wer der Feind war. Es konnte dein Dolmetscher sein, ein Koch, ein Passant, ein örtlicher Geschäftsmann, ein Teenager, ein Greis. Oder jemand in fünf Kilometern Entfernung. Und die Waffen? Keine Haubitzen und Panzer, sondern die kleinen Pakete, die den bitteren Nebel hervorriefen, die Päckchen voller TNT, C4 oder C3 oder die Sprengsätze, die aus deinem eigenen Arsenal gestohlen und so unauffällig versteckt worden waren, dass du

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