Gehetzte Uhrmacher
der Wohnung? Dem Treppenhaus? Der Gasse?
Ein Klicken. Metallisch.
Was war das?
Im Leben eines Soldaten reibt ständig Metall auf Metall. Wenn man die langen, nach Öl riechenden Patronen in die Magazine schiebt, diese dann in die Gewehre steckt und durchlädt, die Türen der Fahrzeuge öffnet, sich angurtet und die Splitterschutzweste festzurrt. Wenn das Projektil eines AK-47 von einem Bradley oder Humvee abprallt.
Wieder dieses Geräusch. Klick, klick .
Dann Stille.
Sie spürte einen kalten Luftzug, als stehe ein Fenster offen. Wo? Im Schlafzimmer, glaubte sie. Halb nackt ging sie zur Schlafzimmertür und sah hinein. Ja, das Fenster war geöffnet. Als sie vorhin auf der Suche nach dem Ticken in den Raum geschaut hatte – war es da nicht geschlossen gewesen? Sie war sich nicht sicher.
Sei nicht so verdammt paranoid, Soldat, rief Lucy sich zur Ordnung. Sie hatte allmählich genug. Es gibt hier keine ISL, keine Selbstmordattentäter und keinen bitteren Nebel.
Reiß dich zusammen.
Sie hielt einen Arm schützend vor die Brüste – auf der anderen Straßenseite lagen ebenfalls Wohnungen -, schloss das Fenster und legte den kleinen Riegel vor. Sah hinunter in die Gasse. Entdeckte nichts.
In diesem Moment hämmerte jemand gegen die Wohnungstür. Lucy fuhr erschrocken herum. Sie zog sich einen Bademantel über und eilte den dunklen Flur entlang. »Wer ist da?«
Es gab eine kurze Pause. Dann rief ein Mann: »Ich bin von der Polizei. Ist bei Ihnen alles in Ordnung?«
»Was ist denn los?«, rief sie.
»Dies ist ein Notfall. Bitte öffnen Sie die Tür.«
Beunruhigt zog Lucy den Gürtel des Bademantels fest und öffnete die Riegel. Sie musste an das Schlafzimmerfenster denken und fragte sich, ob jemand versucht hatte, bei ihr einzubrechen. Sie hakte die Kette aus.
Dann drehte sie den Türknauf, und erst als die Tür sich in ihre Richtung öffnete, fiel ihr ein, dass sie sich bei vorgelegter Kette erst den Dienstausweis oder die Marke hätte zeigen lassen sollen. Sie war so lange in einer völlig anderen Welt gewesen, dass sie vergessen hatte, wie viele gefährliche Menschen es auch in der Heimat gab.
Amelia Sachs und Lon Sellitto trafen vor dem alten Apartmentgebäude in Greenwich Village ein, gelegen in der malerischen Barrow Street.
»Das ist es?«
»Ja«, sagte Sellitto. Seine Finger waren blau, seine Ohren rot.
Sie schauten in die Gasse neben dem Gebäude. Sachs sah sich sorgfältig alles an.
»Wie heißt sie?«, fragte sie.
»Richter. Ich glaube, ihr Vorname ist Lucy.«
»Welches Fenster gehört zu ihrer Wohnung?«
»Das im zweiten Stock.«
Amelia blickte die Feuertreppe hinauf.
Sie gingen weiter zum Vordereingang des Hauses. Mehrere Schaulustige hatten sich versammelt. Sachs nahm die Gesichter in Augenschein, denn sie war weiterhin überzeugt, dass der Uhrmacher die Spuren an dem anderen Tatort nur deshalb mit Sand verwischt hatte, weil er zurückkehren wollte. Was bedeutete, dass er vielleicht auch diesmal vor Ort geblieben war. Aber sie sah niemanden, der ihm oder seinem Partner ähnelte.
»Sind wir sicher, dass es der Uhrmacher war?«, wandte Sachs sich an Frank Rettig und Nancy Simpson, die frierend neben dem Transporter der Spurensicherung ausharrten. Das Fahrzeug stand schräg mitten auf der Fahrbahn.
»Ja, er hat eine dieser Uhren zurückgelassen«, erklärte Rettig. »Die mit den Mondgesichtern.«
Sachs und Sellitto gingen zur Vordertreppe.
»Eines noch«, sagte Nancy Simpson.
Die Detectives blieben stehen und drehten sich um.
Die Beamtin nickte in Richtung des Gebäudes und verzog das Gesicht. »Das wird kein Zuckerschlecken.«
... Vierundzwanzig
Sachs und Sellitto stiegen langsam die Stufen hinauf. Die Luft in dem dunklen Treppenhaus roch nach Bohnerwachs und Ölheizung.
»Wie ist er reingekommen?«, grübelte Sachs.
»Dieser Kerl ist ein Geist. Wenn er will, kommt er überallhin.«
Amelia sah nach oben. Sie hatten die Wohnung erreicht. Auf dem Namensschild stand Richter/Dobbs .
Das wird kein Zuckerschlecken...
»Also los.«
Sachs öffnete die Tür und betrat Lucy Richters Wohnung.
Drinnen stand eine muskulöse junge Frau in einem Jogginganzug und mit hochgestecktem Haar. Sie hatte mit einem uniformierten Beamten gesprochen und drehte sich nun um. Als sie Sachs und Sellitto sowie die goldenen Dienstmarken um ihre Hälse sah, verfinsterte sich ihre Miene.
»Sind Sie hier zuständig?«, fragte Lucy Richter verärgert, trat vor und baute sich direkt vor Lon Sellitto
Weitere Kostenlose Bücher