Gehetzte Uhrmacher
Aber dieses Gefühl war nur eine atmosphärische Störung, die Dance unverzüglich abstellte.
Sie schüttelte den Kopf und fuhr fort. »Sie kommen zurück in die Vereinigten Staaten und laufen prompt diesem Typen über den
Weg. Ganz schön beschissen. Vor allem, nachdem Sie in Übersee gewesen sind.«
»So schlecht ist es da drüben gar nicht. In den Nachrichten hört es sich schlimmer an.«
»Wie dem auch sei, Sie werden anscheinend gut damit fertig.«
Ihr Körper erzählte eine ganz andere Geschichte.
»Na klar. Man tut, was man tun muss. Keine große Sache.« Ihre Finger waren ineinander verschlungen.
»Welche Aufgabe haben Sie dort?«
»Ich bin für den Nachschub zuständig. Im Wesentlichen geht es darum, Transporte zu koordinieren.«
»Ein wichtiger Job.«
Sie zuckte die Achseln. »Kann sein.«
»Aber Sie freuen sich dennoch über Ihren Heimaturlaub, möchte ich wetten.«
»Waren Sie je beim Militär?«
»Nein«, antwortete Dance.
»Nun, in der Armee gibt es eine Grundregel: Lass dir bloß keinen Urlaub entgehen. Auch wenn es nur darauf hinausläuft, mit irgendwelchen Offizieren Punsch zu trinken und eine Urkunde in Empfang zu nehmen.«
Dance horchte sie weiter aus. »Wie viele Soldaten werden an dieser Zeremonie teilnehmen?«
»Außer mir noch siebzehn.«
Lucy fühlte sich sehr unbehaglich. Dance fragte sich, ob das daran lag, dass sie eventuell ein paar Worte an das Publikum richten musste. Eine Rede in der Öffentlichkeit versetzte die meisten Leute in größere Angst als ein Fallschirmsprung. »Und wie groß ist die Veranstaltung?«
»Ich weiß es nicht. Hundert Leute. Vielleicht zweihundert.«
»Kommt Ihre Familie auch?«
»O ja. Alle. Danach feiern wir hier eine kleine Party.«
»Partys sind cool, sagt meine Tochter immer. Was gibt’s zu essen?«
»Ach, hören Sie auf«, winkte Lucy ab. »Wir sind im Village. Hier isst man italienisch. Überbackene Spaghetti, Scampi, Mortadella. Meine Mutter und meine Tante kochen. Ich bin für den Nachtisch zuständig.«
»Meine große Schwäche«, sagte Dance. »Süßigkeiten... ich bekomme Hunger.« Dann sagte sie: »Tut mir leid, ich bin ins Plaudern geraten.« Sie ließ das Notizbuch zugeklappt und sah der Frau in die Augen. »Zurück zu Ihrem Besucher. Sie haben gesagt, Sie hätten sich einen Tee zubereitet und das Badewasser eingelassen. Dann spüren Sie einen Luftzug und gehen ins Schlafzimmer. Das Fenster ist offen. Was wollte ich fragen? Ach ja, ist Ihnen sonst noch etwas Außergewöhnliches aufgefallen?«
»Eigentlich nicht«, sagte sie ebenso flink wie zuvor, aber dann legte sie den Kopf schräg. »Moment. Wissen Sie... da war doch etwas.«
»Wirklich?«
Was Dance gemacht hatte, wird »Überflutung« genannt. Sie war zu dem Schluss gekommen, dass Lucy nicht so sehr wegen des Uhrmachers als vielmehr wegen ihres Dienstes in Übersee und aus irgendeinem Grund auch wegen der bevorstehenden Ordensverleihung beunruhigt war. Daher hatte Dance sich vorübergehend auf diese Themen konzentriert und Lucy mit Fragen bombardiert, um sie abzulenken und den anderen Erinnerungen hoffentlich Gelegenheit zu geben, an die Oberfläche vorzudringen.
Lucy stand auf und ging zum Schlafzimmer. Dance folgte ihr wortlos. Amelia Sachs gesellte sich hinzu.
Die Soldatin sah sich im Zimmer um.
Vorsicht, ermahnte Dance sich im Stillen. Lucy war etwas eingefallen. Dance blieb stumm. Viele Verhöre werden zunichte gemacht, weil der Fragesteller zu hartnäckig nachhakt. Bei vagen Erinnerungen gilt es zu berücksichtigen, dass man sie zwar an die Oberfläche holen, aber nur selten zu fassen bekommen kann.
Beobachten und Zuhören sind die beiden wichtigsten Teile der Befragung. Das Reden kommt erst an dritter Stelle.
»Da war etwas, das mir komisch vorgekommen ist, und zwar etwas anderes als das offene Fenster... Oh, jetzt weiß ich wieder. Als ich vorher im Schlafzimmer war, um nach dem Ursprung dieses Tickens zu suchen, war etwas anders – ich konnte die Kommode nicht sehen.«
»Wieso war das ungewöhnlich?«
»Weil ich heute Morgen, als ich zum Fitnesscenter aufgebrochen bin, einen Blick darauf geworfen habe, ob meine Sonnenbrille dort
lag. Sie war tatsächlich da, und ich habe sie mir geholt. Aber als ich dann später ins Zimmer geschaut habe, weil ich wissen wollte, wo das Ticken herkam, konnte ich die Kommode nicht sehen – denn die Schranktür stand ein Stück offen.«
»Folglich könnte der Mann, der die Uhr ins Badezimmer gestellt hat, sich danach in
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