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Gehetzte Uhrmacher

Titel: Gehetzte Uhrmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Deaver
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selten ändert.
    Sachs untersuchte das Schlafzimmer, die Feuertreppe, das Badezimmer und die Strecken, die er zwischen diesen Orten zurückgelegt haben musste. Und sie überprüfte das Dach. Es sei in letzter Zeit nicht frisch geteert worden, berichtete sie.
    »Nichts, Rhyme. Es ist, als hätte auch er einen Tyvek-Overall an. Er hinterlässt einfach keinerlei Spuren.«
    Edmond Locard, der berühmte französische Kriminalist, hatte die so genannte Austauschregel formuliert, nach der bei jedem Verbrechen
ein Spurenaustausch zwischen Täter und Schauplatz stattfindet. Der Täter lässt etwas von sich am Tatort zurück und nimmt im Gegenzug etwas vom Tatort mit. Diese Regel klingt jedoch optimistischer, als sie in Wahrheit ist, denn manchmal sind die Partikel so winzig, dass man sie übersieht, und manch anderes Mal lassen sie sich zwar leicht feststellen, helfen den Ermittlern aber kein Stück weiter. Dennoch musste es nach Locard irgendeinen Austausch gegeben haben.
    Rhyme fragte sich bisweilen, ob es wohl hin und wieder einen Kriminellen gab, der ihm an Intelligenz ebenbürtig oder gar überlegen war, und ob solch eine Person sich genügend Kenntnisse über die forensische Wissenschaft aneignen konnte, um ein Verbrechen zu begehen und Locard Lügen zu strafen, indem weder Spuren hinterlassen noch aufgenommen wurden. War der Uhrmacher eine solche Person?
    »Denk nach, Sachs... Da muss noch mehr sein. Etwas, das wir übersehen haben. Was sagt das Opfer?«
    »Sie ist ziemlich aufgewühlt. Nicht besonders konzentriert.«
    »Ich schicke euch unsere Geheimwaffe«, sagte Rhyme nach kurzem Überlegen.
     
    Kathryn Dance saß Lucy Richter im Wohnzimmer des Apartments gegenüber.
    Hinter der Soldatin hingen ein Jimi-Hendrix-Poster und ein Hochzeitsfoto von Lucy und ihrem Gatten an der Wand, ein rundgesichtiger, fröhlicher Mann in militärischer Ausgehuniform.
    Dance bemerkte, dass die Frau angesichts der Umstände relativ ruhig wirkte, wenngleich Amelia Sachs gesagt hatte, irgendetwas mache ihr eindeutig zu schaffen. Kathryn hatte den Eindruck, dass es sich dabei teilweise um etwas anderes als den aktuellen Zwischenfall handelte. Die Frau wies nicht die posttraumatischen Stresssymptome von jemandem auf, der nur knapp dem Tode entronnen war; sie war auf eine grundlegendere Weise erschüttert.
    »Sofern Sie nichts dagegen haben, würden Sie mir bitte noch einmal die Einzelheiten schildern?«
    »Gern, falls es Ihnen hilft, diesen Scheißkerl zu erwischen.« Lucy erklärte, sie sei an jenem Morgen zum Training ins Fitnessstudio gegangen. Bei ihrer Rückkehr habe sie die Uhr vorgefunden.

    »Ich war durcheinander. Dieses Ticken...« Ihr Gesicht ließ nun eine unterschwellige Angst erkennen. Kampf-oder-Flucht. Dance hakte nach, und Lucy erzählte von den Bomben in Übersee. »Ich hab vermutet, dass die Uhr ein Geschenk sein sollte, aber sie hat mich irgendwie aus dem Konzept gebracht. Dann spürte ich einen Luftzug und bin nachsehen gegangen. Das Schlafzimmerfenster stand offen. Dann kam auch schon die Polizei.«
    »Ansonsten war nichts ungewöhnlich?«
    »Nein. Nicht, dass ich wüsste.«
    Dance stellte ihr noch einige Fragen. Lucy Richter kannte weder Theodore Adams noch Joanne Harper. Sie konnte sich nicht erklären, wer es auf sie abgesehen haben könnte. Sie wolle der Polizei wirklich gern weiterhelfen, aber ihr fiele nun mal nichts mehr ein.
    Die Frau war nach außen hin mutig (»dieser Scheißkerl«), aber Dance glaubte, dass etwas in Lucy sie unterbewusst davon abhielt, sich auf das soeben Erlebte zu konzentrieren. Sie hatte defensiv Arme und Beine verschränkt. Das war eine klassische Körperhaltung und deutete nicht auf eine Irreführung hin, sondern auf den Versuch, sich vor einer Bedrohung zu schützen.
    Die Beamtin musste es auf andere Weise versuchen. Sie legte ihr Notizbuch hin.
    »Was machen Sie in der Stadt?«, fragte sie im Plauderton.
    Lucy erwiderte, sie sei auf Heimaturlaub aus dem Mittleren Osten hier. Normalerweise hätte sie sich mit Bob, ihrem Ehemann, in Deutschland bei gemeinsamen Freunden getroffen, aber ihr solle am Donnerstag eine Auszeichnung verliehen werden.
    »Ach, im Rahmen dieser Parade zur Unterstützung unserer Truppen?«
    »Gleich im Anschluss.«
    »Herzlichen Glückwunsch.«
    Lucys Lächeln zitterte. Dance registrierte diese winzige Regung.
    Und sie nahm auch etwas an sich selbst wahr; vier Tage vor seinem Tod war Kathryn Dances Mann vom FBI wegen besonderer Tapferkeit ausgezeichnet worden.

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