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Gehetzte Uhrmacher

Titel: Gehetzte Uhrmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Deaver
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mit Winterhandschuhen nicht in die Tasche greifen.«
    »Okay«, gab er barsch zurück. »Da Sie ohnehin alles besser wissen, muss es wohl so gewesen sein.«
    »Wieso haben Sie bei dieser Eiseskälte Ihre Fahrkarte herausgeholt, obwohl Sie bis zur U-Bahn-Station noch zehn Minuten gehen mussten?«
    »So lasse ich nicht mit mir reden.«
    »Und Sie haben auf dem Bahnsteig auch nicht auf die Uhr gesehen, nicht wahr?«, fügte sie mit fester Stimme leise hinzu.
    »Doch, habe ich. Es war fünf nach halb zehn.«
    »Nein, haben Sie nicht. Sie zeigen doch am späten Abend in der U-Bahn-Station nicht einfach so eine Fünftausend-Dollar-Uhr herum.«
    »Okay, das reicht. Ich sage nichts mehr.«
    Wenn ein Fragesteller einen Befragten mit einer Lüge konfrontiert, setzt er ihn dadurch stark unter Druck. Der Befragte wird versuchen, diesem Stress zu entfliehen. Dabei sind verschiedene Reaktionen denkbar – Dance nannte sie Hindernisse auf dem Weg zur Erkenntnis. Die destruktivste und am schwierigsten in den Griff zu bekommende Reaktion ist Wut, gefolgt von Niedergeschlagenheit, Verleugnung und schließlich dem Versuch, etwas auszuhandeln.
Der Fragesteller muss daher erkennen, in welcher dieser Phasen sein Gegenüber sich befindet, und ihm jeweils mit den geeigneten Mitteln begegnen, bis der Befragte am Ende das Stadium der Akzeptanz erreicht und die Wahrheit gesteht.
    Dance war zu dem Schluss gelangt, dass Cobb sich trotz seines Ärgers im Wesentlichen in der Phase der Verleugnung befand – solche Leute berufen sich sehr schnell auf ein lückenhaftes Gedächtnis und geben dem Fragesteller die Schuld für vermeintliche Missverständnisse. Das beste Mittel dagegen hatte Dance soeben angewandt – den »Angriff mit Fakten«. Bei einer extrovertierten Person bedeutet dies, dass man die Schwächen und Widersprüche ihrer Aussage schonungslos nacheinander aufdeckt, bis der Widerstand gebrochen ist.
    »Ari, Sie haben um halb acht Ihr Büro verlassen und sind ins Hanover’s gegangen. Das wissen wir. Sie waren etwa anderthalb Stunden dort. Dann haben Sie einen Umweg von zwei Blocks in Kauf genommen, um in die Cedar Street zu gelangen. Sie kennen sich dort deshalb so gut aus, weil Sie sich da regelmäßig eine Prostituierte suchen. Gestern zwischen neun und halb zehn hat eine der Frauen mit ihrem Wagen in der Nähe der Gasse gehalten. Sie haben einen Preis vereinbart und sie bezahlt. Dann sind Sie zu ihr ins Auto gestiegen. Um ungefähr Viertel nach zehn hat sie Sie dort wieder abgesetzt. Bei dieser Gelegenheit haben Sie am Straßenrand das Geld verloren, vermutlich als Sie der Nutte ein paar Dollar extra geben oder auf Ihrem Mobiltelefon nachschauen wollten, ob Ihre Frau angerufen hat. In der Zwischenzeit war der Killer in die Gasse gefahren. Sie haben es bemerkt und etwas gesehen. Was? Was haben Sie gesehen?«
    »Nein...«
    »Ja«, sagte Dance ruhig. Dann sah sie ihn durchdringend an und sagte nichts mehr.
    Nach einer Weile senkte er den Kopf und stellte die Beine nebeneinander. Seine Unterlippe bebte. Er legte kein Geständnis ab, aber Dance hatte ihn in der Abfolge der Stressreaktionen einen Schritt weitergebracht – von der Verleugnung zum Aushandeln. Nun musste sie ihr Verhalten anpassen. Sie musste Verständnis zeigen und ihm eine Möglichkeit geben, das Gesicht zu wahren. In diesem Stadium werden sogar die entgegenkommendsten Befragten weiterhin lügen
oder mauern, wenn man ihnen nicht einen Rest Würde lässt und ihnen einen Weg aufzeigt, den schlimmsten Konsequenzen ihrer Handlungen zu entkommen.
    Kathryn nahm die Brille ab und lehnte sich zurück. »Sehen Sie, Ari, wir wollen Ihnen nicht das Leben ruinieren. Sie hatten Angst. Das ist verständlich. Aber dieser Mann, den wir aufzuhalten versuchen, ist sehr gefährlich. Er hat zwei Menschen umgebracht und wird vielleicht noch weitere Morde begehen. Falls Sie uns bei der Suche nach ihm behilflich sind, muss nichts von dem, was wir hier heute über Sie erfahren haben, nach außen dringen. Es wird keine gerichtlichen Verfügungen geben und keine Anrufe bei Ihrer Frau oder Ihrem Chef.«
    Dance sah zu Detective Baker. »Vollkommen richtig«, bestätigte dieser.
    Cobb seufzte. »Scheiße«, murmelte er, ohne vom Boden aufzublicken. »Es waren doch bloß dreihundert verfluchte Dollar. Wieso nur bin ich heute Morgen dorthin zurückgekehrt?«
    Aus Gier und Dummheit, dachte Kathryn Dance. »Wir alle machen Fehler«, sagte sie freundlich.
    Er zögerte. Dann seufzte er erneut. »Wissen Sie,

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