Gehetzte Uhrmacher
darüber, dass ihre kurze Mitwirkung am Fall des Uhrmachers nun vorbei war.
Joanne Harper fühlte sich gut.
Die schlanke zweiunddreißigjährige Frau saß in der Werkstatt einige Blocks östlich ihres Blumenladens in SoHo. Sie befand sich unter Freunden, das heißt zwischen Rosen, Cymbidium-Orchideen, Paradiesvogelblumen, Lilien, Anthurien und Rotem Ingwer.
Die Werkstatt erstreckte sich über das großflächige Erdgeschoss eines ehemaligen Lagerhauses. Es war hier zugig und kalt, und um die Blumen zu schützen, brannte in den meisten Räumen kein Licht. Dennoch gefiel es ihr hier, in der Kühle, dem Halbdunkel, dem Geruch nach Flieder und Dünger. Sie befand sich mitten in Manhattan, ja, aber es wirkte eher wie ein stiller Wald.
Die Frau fügte der großen Keramikvase, die vor ihr stand, noch etwas Floristenschaumstoff hinzu.
Sie fühlte sich gut.
Aus einer Reihe von Gründen.
Weil sie an einem lukrativen Projekt arbeitete, bei dessen Design man ihr völlig freie Hand ließ.
Und wegen des Kribbelns nach ihrer Verabredung vom Vorabend.
Mit Kevin, der wusste, dass Engelstrompeten nur bei außerordentlich guter Entwässerung gediehen, dass die kriechende Fetthenne den ganzen September hindurch leuchtend rot erblühte und dass Donn Clendenon 1969 drei Bälle über die Mauer geschlagen und so den Mets zum Sieg über Baltimore verholfen hatte (Joannes Vater hatte zwei der Homeruns mit seiner Kodak festgehalten).
Kevin, der niedliche Kerl, Kevin mit dem Grübchen und dem Lächeln. Ohne gegenwärtige oder einstige Ehefrauen.
Konnte man sich etwas Besseres vorstellen?
Auf das vordere Fenster legte sich kurz ein Schatten. Joanne blickte auf, sah aber niemanden. Der östliche Abschnitt der Spring Street war recht einsam, und es kamen nur selten Fußgänger vorbei. Sie musterte die Scheiben. Ramon müsste hier wirklich mal sauber machen. Na ja, das konnte noch warten, bis es wärmer wurde.
Sie widmete sich wieder der Zusammenstellung der Vase und dachte weiter über Kevin nach. Würde das mit ihnen etwas werden?
Vielleicht.
Vielleicht auch nicht.
Es spielte eigentlich keine Rolle (okay, natürlich tat es das, aber als zweiunddreißigjährige alleinstehende Frau musste sie die Spielt-eigentlich-keine-Rolle-Haltung vertreten). Wirklich wichtig war aber, dass sie Spaß mit ihm hatte. Nachdem ihr in den letzten Jahren immer nur Scheidungsopfer über den Weg gelaufen waren, hatte sie das Recht auf ein wenig Vergnügen.
Joanne Harper, die so ähnlich aussah wie die Rothaarige aus Sex and the City , war vor zehn Jahren nach New York gekommen, um eine berühmte Künstlerin zu werden, in einem verglasten Atelier im East Village zu wohnen und ihre Gemälde über eine Galerie in Tribeca zu verkaufen. Aber die Kunstwelt dachte anders darüber.
Es ging dort zu rau zu, zu kleinlich, zu, nun ja, un künstlerisch. Man musste entweder Anstoß erregen oder sein gequältes Innerstes nach außen kehren, entweder die Beine breit machen oder reich sein. Joanne hängte die schönen Künste an den Nagel und versuchte es eine Zeit lang mit Grafikdesign, aber auch das sagte ihr nicht zu. Aus einer Laune heraus nahm sie eine Stelle bei einer Dekorateurfirma in Tribeca an und fand Gefallen an der Arbeit. Wenn sie schon von der Hand in den Mund leben musste, dann wenigstens mit einer Tätigkeit, die ihr etwas bedeutete.
Der Witz dabei war, dass sie Erfolg hatte und sich vor einigen Jahren selbstständig machen konnte. Inzwischen besaß sie sowohl einen Blumenladen am Broadway als auch den Betrieb in der Spring Street, der für Firmen und Organisationen arbeitete, täglich Blumen in diverse Geschäftsräume lieferte und große Arrangements für Konferenzen, Feiern und besondere Ereignisse anbot.
Joanne legte noch etwas Schaumstoff nach, steckte Grünpflanzen und Eukalyptus hinein und deckte den Boden mit kleinen Glasmurmeln ab – die Blumen würden erst ganz zum Schluss hinzugefügt werden. Die kalte Luft ließ sie ein wenig frösteln. Joanne schaute zu der Uhr an der dunklen Wand der Werkstatt. Nicht mehr lange, dachte sie. Kevin musste heute in der Stadt einige Lieferfahrten erledigen. Er hatte am Morgen angerufen und gesagt, er würde nachmittags in den Blumenladen kommen. Und, he, falls du nichts anderes vorhast, könnten wir ja einen Cappuccino trinken gehen oder so.
Ein Kaffee am Tag nach der Verabredung? Mann, das war …
Schon wieder fiel ein Schatten auf das Fenster.
Erneut hob sie schnell den Kopf. Niemand zu sehen. Aber
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