Gehetzte Uhrmacher
möchte Sie darum bitten, meinen Besuch hier für sich zu behalten.«
»Ja, na klar.«
»Können Sie mir irgendwas über ihn erzählen?«
»Herrje, ich kenne ja nicht mal seinen Namen. Er war vielleicht dreimal hier. Hatte er Familie?«
»Ja, hatte er.«
»Oh, das ist hart. Das ist schlimm.«
»Eine Frau und einen halbwüchsigen Jungen.«
Sonja schüttelte den Kopf. »Gerte könnte ihn besser gekannt haben«, sagte sie dann. »Das ist meine Kollegin. Sie arbeitet öfter hier als ich.«
»Ist sie jetzt hier?«
»Nein, aber sie müsste bald kommen. Soll sie Sie anrufen?«
»Geben Sie mir ihre Nummer.«
Die Frau schrieb sie auf. Sachs beugte sich vor und wies auf das Foto von Creeley. »Wissen Sie noch, ob er sich hier mit jemandem getroffen hat?«
»Ich weiß nur, dass er da hinten war. Wo die meistens rumhängen.« Sie zeigte zum Hinterzimmer.
Ein millionenschwerer Geschäftsmann und ein solcher Pöbelhaufen? Waren zwei dieser Kerle in Creeleys Haus in Westchester eingebrochen und hatten im Kamin ein kleines Freudenfeuer veranstaltet?
Sachs sah in den Spiegel und nahm den Tisch der Männer genauer in Augenschein. Er war voller Bierflaschen, Aschenbecher und abgenagter Hühnerknochen. Diese Jungs gehörten zu irgendeinem Verein. Womöglich waren sie junge Capos im Dienst des organisierten Verbrechens. Rund um die Stadt gab es jede Menge Gruppen nach Art der Sopranos . Die meisten der Handlanger waren nur unbedeutende Kriminelle, aber die kleineren Banden erwiesen sich oft als gefährlicher als die traditionelle Mafia, die nach Möglichkeit keine Unbeteiligten verletzte und sich von Crack und Meth fern hielt, der dunkleren Seite der Unterwelt. Amelia versuchte sich vorzustellen, was Benjamin Creeley mit diesen Kreisen zu tun gehabt haben könnte. Es fiel ihr schwer.
»Haben Sie die Männer mal mit Hasch oder Koks gesehen – mit irgendwelchen Drogen?«
Sonja schüttelte den Kopf. »Nein.«
Sachs beugte sich vor. »Wissen Sie, zu welcher Truppe die gehören?«, flüsterte sie.
»Truppe?«
»Welche Bande? Wer ist ihr Boss?«
Sonja schwieg für einen Moment. Sie sah Sachs an und versuchte zu erkennen, ob sie es ernst meinte. Dann lachte sie auf. »Die gehören zu keiner Bande. Ich dachte, Sie wüssten Bescheid. Das sind Polizisten.«
Die Uhren – die Visitenkarten des Uhrmachers – trafen endlich ein, nachdem das Räumkommando sie freigegeben hatte.
»Soll das etwa heißen, man hat im Innern keine winzigen Massenvernichtungswaffen gefunden?«, fragte Rhyme sarkastisch. Er war verärgert, dass man die Uhren nicht direkt zu ihm transportiert hatte – was ein höheres Verunreinigungsrisiko bedeutete – und dass sie erst so spät bei ihm abgeliefert worden waren.
Pulaski zeichnete die zugehörigen Registrierkarten ab, und der Streifenbeamte, der als Überbringer fungiert hatte, machte sich wieder auf den Weg.
»Mal sehen, was wir hier haben.« Rhyme fuhr mit seinem Rollstuhl an den Tisch heran, während Cooper die Uhren aus den Plastiktüten holte.
Es handelte sich um identische Modelle. Der einzige Unterschied war das eingetrocknete Blut am Sockel der Uhr, die auf dem Pier zurückgelassen worden war. Sie schienen alt zu sein und wurden nicht elektrisch betrieben, sondern mussten von Hand aufgezogen werden. Doch die Einzelteile waren modern. Das Uhrwerk im Innern steckte in einem versiegelten Kasten, den das Räumkommando geöffnet hatte, aber beide Uhren liefen noch und zeigten die korrekte Zeit an. Das Gehäuse war aus schwarz gestrichenem Holz, das Zifferblatt aus altmodischem weißen Metall. Es war mit römischen Ziffern versehen, und die ebenfalls schwarzen Zeiger endeten als spitze Pfeile. Es gab keinen Sekundenzeiger, aber jede Sekunde wurde von einem lauten Ticken begleitet.
Das ungewöhnlichste Merkmal war ein großes Sichtfenster in der oberen Hälfte des Zifferblatts, hinter dem eine Scheibe mit den aufgemalten Mondphasen zu sehen war. In der Mitte des Fensters stand derzeit der Vollmond, der ein schauriges menschliches Gesicht besaß und mit unheilvollem Blick und schmalen Lippen nach draußen starrte.
Der Kalte Vollmond steht am Himmel ...
Cooper nahm sich die Uhren mit der gewohnten Gründlichkeit vor und berichtete, es gebe keine Fingerabdrücke und nur minimale Partikelspuren. Letztere passten allesamt zu den Proben, die Sachs an den beiden Tatorten sichergestellt hatte, was bedeutete, dass nichts davon aus dem Wagen oder der Wohnung des Uhrmachers stammte.
»Wer ist der
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