Gehetzte Uhrmacher
fast zu schnell, um überhaupt noch lesbar zu sein.
Er war ungeduldig. Er war besorgt. »Red schon, Sachs«, sagte er schließlich mit fester Stimme.
Sie starrte kopfschüttelnd auf den Monitor. Dann sah sie Rhyme an. »Mein Vater... Er hatte Dreck am Stecken.« Ihre Stimme erstarb.
Rhyme fuhr näher heran, während Amelias Blick sich wieder auf den Bildschirm richtete. Die Dokumente dort waren Zeitungsartikel, wie er nun erkennen konnte.
Ihre Beine zitterten vor Anspannung. »Er hat sich bestechen lassen«, flüsterte sie.
»Unmöglich.« Rhyme hatte Herman Sachs nicht gekannt, denn Amelias Vater war an Krebs gestorben, bevor sie und Rhyme sich kennen gelernt hatten. Er war sein ganzes Leben lang Streifenbeamter gewesen, ein »Plattfuß« (was Sachs zu Beginn ihrer Laufbahn den Spitznamen »P.T.« eingebracht hatte – »Plattfußtochter«). Herman hatte Polizistenblut in den Adern – sein Vater, Heinrich Sachs, war 1937 aus Deutschland in die USA emigriert, zusammen mit dem Vater seiner Verlobten, einem Inspektor der Berliner Kriminalpolizei. Nach seiner Einbürgerung hatte Heinrich für das NYPD gearbeitet.
Der Gedanke, ein Angehöriger der Familie Sachs könne korrupt gewesen sein, war für Rhyme unvorstellbar.
»Ich habe gerade mit einem Detective geredet, der in der St.-James-Sache ermittelt hat. Er kannte Dad. Ende der Siebziger gab es einen Skandal. Erpressung, Bestechung, sogar ein paar Überfälle. Man hat ungefähr ein Dutzend Streifenbeamte und Detectives verhaftet. Sie wurden bekannt als der Sechzehnte-Avenue-Club.«
»Ja, ich habe davon gelesen.«
»Ich war damals noch ein kleines Mädchen.« Ihre Stimme bebte. »Und ich habe nie davon gehört, auch nicht, nachdem ich selbst Polizistin war. Mutter und Paps haben es nie erwähnt. Aber er hat dazugehört.«
»Sachs, das kann ich mir einfach nicht vorstellen. Hast du deine Mutter gefragt?«
Amelia nickte. »Sie sagt, da sei nichts gewesen. Ein paar der Festgenommenen hätten einfach irgendwelche Namen genannt, um mit der Staatsanwaltschaft etwas für sich aushandeln zu können.«
»Das kommt bei IAD-Fällen oft vor. Andauernd. Jeder schwärzt jeden an, auch Unschuldige. Es dauert eine Weile, bis Klarheit herrscht. Das ist auch schon alles.«
»Nein, Rhyme. Das ist nicht alles. Ich bin in der Abteilung für innere Angelegenheiten gewesen und habe die alte Akte ausfindig gemacht. Paps war schuldig. Zwei der Cops, die Teil des Komplotts waren, haben unter Eid ausgesagt, er habe sich von Ladeninhabern bestechen lassen und illegale Buchmacher geschützt. Und als gegen Banden in Brooklyn ermittelt wurde, habe er in ein paar großen Fällen sogar Akten und Beweise verschwinden lassen.«
»Hörensagen.«
» Beweise «, fuhr sie ihn an. »Es gab Beweise. Seine Fingerabdrücke auf dem Bestechungsgeld. Und auf mehreren nicht registrierten Waffen, die er in seiner Garage aufbewahrt hat.« Ihre Stimme war plötzlich kaum lauter als ein Flüstern. »Laut Ballistik wurde eine davon im Jahr zuvor bei einem versuchten Mordanschlag benutzt. Mein Dad hat eine heiße Waffe versteckt, Rhyme. Es steht alles in der Akte. Ich habe den Bericht des Fingerabdruckexperten gelesen. Ich habe die Abdrücke gesehen.«
Rhyme schwieg einen Moment. »Wieso ist er dann davongekommen?«, fragte er schließlich.
Sachs lachte verbittert auf. »Jetzt kommt der Witz, Rhyme. Die Spurensicherung hat’s versaut. Die Registrierkarten waren nicht korrekt ausgefüllt, und sein Anwalt hat es im Vorfeld der Verhandlung geschafft, die Beweise ausschließen zu lassen.«
Der Verbleib eines Beweises muss auf der zugehörigen Registrierkarte stets lückenlos dokumentiert sein, damit jedwede Manipulation oder versehentliche Änderung der Spuren ausgeschlossen werden kann. In Herman Sachs’ Fall lag mit Sicherheit keine solche Beeinträchtigung vor; es ist praktisch unmöglich, die Fingerabdrücke eines Menschen künstlich auf einen Gegenstand zu übertragen. Dennoch müssen die Vorschriften natürlich befolgt werden, und sobald die Registrierkarten nicht oder fehlerhaft ausgefüllt sind, wird das entsprechende Beweisstück fast nie für den Prozess zugelassen.
»Und... es gab Fotos von ihm mit Tony Gallante.«
Ein hochrangiger Capo des organisierten Verbrechens aus Bay Ridge.
»Dein Vater und Gallante?«
»Sie haben zusammen zu Abend gegessen, Rhyme. Ich habe einen früheren Kollegen von Paps angerufen, Joe Knox – er hat ebenfalls dem Sechzehnte-Avenue-Club angehört und wurde
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