Gehetzte Uhrmacher
Stimme schwang eine gewisse Verunsicherung mit, die Pulaski zu denken gab. Es gefiel ihm nicht, dass Lincoln Rhyme sich unbehaglich fühlte. Ein Schauder lief ihm über den Rücken. Das scharrende Geräusch fiel ihm wieder ein. Das Klicken.
Tick, tack ...
»Was ist mit dem Reifenprofil und dem Kühlergrill? Oder dem Außenspiegel?«
Er sah nach. »Vorwiegend Schneematsch und Erde.«
»Nehmen Sie Proben.«
Pulaski tat, wie ihm geheißen. »Fertig«, sagte er dann.
»Nun zu den Fotos und Videoaufnahmen – kennen Sie sich damit aus?«
Allerdings. Pulaski hatte die Hochzeit seines Bruders im Bild festgehalten.
»Danach widmen wir uns den möglichen Fluchtwegen.«
Pulaski sah sich abermals um. War da wieder ein Scharren, ein Schritt? Wasser tropfte. Das klang auch fast wie das Ticken einer Uhr und machte ihn noch nervöser. Er fing erneut mit dem Gitternetz an und arbeitete sich im Zickzack zu dem Ausgang vor, sah nach oben und nach unten, genau wie Rhyme es in seinem Buch beschrieben hatte.
Ein Tatort ist dreidimensional ...
»Nichts bislang.«
Rhyme grunzte nur.
Pulaski glaubte, einen Schritt zu hören.
Er griff nach seiner Waffe. Da erst wurde ihm klar, dass seine Glock sich unter dem Tyvek-Overall und somit außer Reichweite befand. Dumm. Sollte er sich den Gürtel um den Anzug schnallen?
Aber falls er das tat, konnte er den Schauplatz durch eigene Partikelspuren verunreinigen.
Ron Pulaski beschloss, die Waffe da zu lassen, wo sie war.
Das hier ist bloß ein altes Parkhaus; natürlich gibt es da irgendwelche Geräusche. Bleib locker.
Die unergründlichen Mondgesichter auf den Zifferblättern der Uhren starrten Lincoln Rhyme an.
Diese schaurigen Augen, die nichts preisgaben.
Das Ticken war alles, was er hörte; im Funkgerät herrschte Stille. Dann ein paar merkwürdige Geräusche. Ein Scharren, ein Klappern. Oder waren das lediglich atmosphärische Störungen?
»Ron? Alles klar?«
Nichts außer dem tick... tick... tick.
»Ron?«
Dann ein Scheppern, laut. Metallisch.
Rhymes Kopf ruckte hoch. »Ron? Was ist da los?«
Immer noch keine Antwort.
Rhyme wollte gerade anordnen, die Frequenz zu wechseln, damit er Haumann bitten konnte, mal nach dem Neuling zu sehen, als das Funkgerät endlich zum Leben erwachte.
Ron Pulaskis panische Stimme erklang. »... braucht Hilfe! Zehn-dreizehn, zehn... Ich...«
Ein Zehn-Dreizehn war der dringlichste aller Funkcodes, der Hilferuf eines Beamten in Gefahr.
»Antworten Sie, Ron!«, rief Rhyme. »Können Sie mich hören?«
»Ich kann nicht...«
Ein Ächzen.
Das Funkgerät war tot.
O Gott.
»Mel, schalt zu Haumann um!«
Der Techniker drückte ein paar Knöpfe. »Los!«, rief Cooper und wies auf Rhymes Headset.
»Bo, hier ist Rhyme. Pulaski steckt in Schwierigkeiten. Er hat auf meiner Frequenz einen Zehn-dreizehn abgesetzt. Haben Sie das auch gehört?«
»Negativ. Aber wir kümmern uns darum.«
»Er wollte das dem Explorer nächstgelegene Treppenhaus überprüfen.«
»Roger.«
Da er sich nun auf der Hauptfrequenz befand, konnte Rhyme alle Funksprüche mithören. Haumann schickte mehrere taktische Teams zur Unterstützung und beorderte einen Krankenwagen herbei. Er befahl seinen Männern, sich in dem Parkhaus zu verteilen und die Ausgänge zu bewachen.
Wütend presste Rhyme seinen Kopf gegen die Nackenstütze des Rollstuhls.
Er war wütend auf Sachs, weil sie sich statt für »seinen Fall« lieber für den »anderen Fall« entschieden und Pulaski dadurch gezwungen hatte, den Auftrag zu übernehmen. Und er war wütend auf sich selbst, weil er von einem unerfahrenen Neuling verlangt hatte, ganz allein einen potenziell heißen Tatort zu untersuchen.
»Linc, wir sind unterwegs. Wir können ihn noch nicht sehen.« Das war Sellittos Stimme.
»Verdammt, erzähl mir gefälligst nicht, was du nicht gefunden hast.«
Andere Stimmen.
»Auf dieser Ebene ist nichts.«
»Da steht der Geländewagen.«
»Wo ist er?«
»Da drüben, auf neun Uhr?«
»Negativ, das ist einer von uns.«
»Mehr Licht! Wir brauchen mehr Licht!«
Dann plötzlich Stille. Die Sekunden fühlten sich wie Stunden an.
Was war da los?
Verflucht noch mal, kann denn nicht jemand etwas sagen?
Aber seine stumme Bitte wurde nicht erfüllt. Er schaltete zurück auf Pulaskis Frequenz.
»Ron?«
Er hörte nur eine Reihe von Klicklauten, als würde jemand mit durchschnittener Kehle versuchen, mit letzter Kraft etwas zu sagen, obwohl er keine Stimme mehr hatte.
... Achtzehn
»He, Amie.
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