Gehirnfluesterer
dringendenVerdacht. Und da spaziert der Verdächtige Nr. 1 in die Polizeistation. Williams spielte ein verwegenes Spiel.
Natürlich zeigte er sich nicht kooperativ. Kühl berief er sich auf sein Recht, die Aussage zu verweigern. Er schwieg, beantwortete
keine Fragen. Er war polizeibekannt: als der Mann, der für eine berüchtigte Bande von Berufsverbrechern in Manchester aufräumte,
indem er Spuren verwischte und Beweise beseitigte. Savill konnte sich also sicher sein, dass Williams auch die eigenen Spuren
verwischt hatte. Die Ermittler steckten richtig in der Klemme. Doch Savill bekam seinen Mann. Ein Fußabdruck, mit dem bloßen
Auge nicht sichtbar, fand sich am Tatort und war identisch mit einem Abdruck aus Williams’ Wohnung in Birmingham, hundert
Meilen entfernt. Das Urteil lautete lebenslänglich.
Doch es war knapp gewesen. Als der entscheidende Beweis erbracht werden konnte, fehlten noch drei Stunden bis zum Ablauf der
Frist. Später erklärte Savill: »Williams hat sich sofort selbst gestellt, und das kam für uns völlig unerwartet. Niemand hätte
das voraussagen können. Er hat uns kalt erwischt. Doch wir hätten es uns niemals verziehen, wenn er davongekommen wäre. Wir
wussten, er war unser Mann. Hartnäckigkeit und gute alte Polizeiarbeit brachten uns schließlich den Erfolg. Gerade noch rechtzeitig.«
Auch wenn ein Teil aus dem Fünf-Punkte-Modell fehlte, das gefühlte Eigeninteresse, denn die Polizei wollte ihn definitiv nicht
freilassen, hätte Williams mit diesem Coup ungestraft davonkommen können. Weil er sich, gewappnet mit den anderen vier, Einfachheit,
Überraschungseffekt, Selbstvertrauen und Empathie, in die Höhle des Löwen traute.
Lass doch die Scheiße!
Im ›Schweigen der Lämmer‹ entkommt Hannibal Lecter, aber die FB I-Agentin Clarice Starling ist überzeugt, dass er hinter
ihr
nicht her sein wird. So etwas hielte er für ungehobelt, sagt sie. Und siehat recht. Aber nicht alle Psychopathen sind so entgegenkommend. In seinem Buch ›The Stuff of Thought‹ befasst sich der Psychologe
Steven Pinker aus Harvard mit Implikaturen, dem sprachlichen Mittel, das uns erlaubt zu sagen, was wir meinen, indem wir Dinge
sagen, die wir eigentlich nicht meinen. Ein klassisches Beispiel dafür hört man häufig am Esstisch. Nehmen wir an, Sie haben
sich mit einigen fremden Menschen zum Essen gesetzt und möchten, dass Ihnen jemand Salz und Pfeffer reicht. Sie wenden sich
an Ihren Tischnachbarn und sagen … Ja, was genau? Wahrscheinlich nicht direkt: Geben Sie mir Salz und Pfeffer, also das, was Sie meinen. Sie werden eher etwas
sagen wie: Wären Sie so freundlich, mir Salz und Pfeffer zu reichen? Oder: Sehen Sie irgendwo auf dem Tisch Salz und Pfeffer?
Sie können alles Mögliche sagen, eines aber werden Sie gewiss nicht sagen: das knappe, direkte »Geben Sie mir Salz und Pfeffer!«.
Implikaturen, erklärt Pinker, gibt es, weil sie uns ermöglichen, das Gesicht zu wahren. Sie schützen uns vor Unverschämtheit.
Die Bitte »Geben Sie mir Salz und Pfeffer« könnte verstanden werden als Anweisung – eben nicht als Bitte, sondern als unverhohlen
herausfordernde Ansage. Wenn wir dagegen fragen: »Sehen Sie irgendwo Salz und Pfeffer auf dem Tisch?«, wissen zwar alle, was
gemeint ist (nämlich: Gib mir verdammt noch mal Salz und Pfeffer!), aber die Aufforderung ist in der Frage nur implizit enthalten.
Und das wirkt einfach besser.
Als ich von diesen Implikaturen hörte, bat ich Steven Pinker um ein Gespräch. Denn dieses Muster, so schien es mir, passte
nicht zum Gehirnflüstern. Erinnern Sie sich an: »Warum lügen? Ich will ein Bier!« Oder an: »Verpiss dich, ich habe genug Freunde!«
Solche Äußerungen lassen so gut wie keinen Raum für ein Lesen zwischen den Zeilen; es bleibt wenig Raum für Imagination.
Das gilt auch für die folgende Szene, eines der ersten Beispiele augenblicklicher, extremer Beeinflussung, auf das ich stieß.
Bis heute einer meiner Favoriten und ein eindeutiger Beweis dafür, dass Freundlichkeit nicht immer die beste Strategie ist,
um zu erreichen, was man will: Ein Ehepaar ist in seiner Stammkneipe inBank Holiday im August, und beide sind betrunken. Die Kneipe ist voller Stammgäste, und der Streit dauert nun schon eine gute
Viertelstunde. Der Ehemann: »Du sagst nie die Wahrheit. Das ist das Problem mit dir, schon immer. Nie bist du ehrlich zu mir.
Warum lässt du die Scheiße nicht und sagst, was wirklich
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