Gehirnfluesterer
folgendem simplen Beispiel illustrieren. Welche der drei senkrechten Linien im Kasten links hat dieselbe
Länge wie die Linie im Kasten rechts?
Nicht gerade schwierig, oder? Die mittlere, Linie B. Wenn Sie das nicht erkennen, dann müssten Sie wirklich mal zum Augenarzt. Und wissen Sie was: Ich wette, ich kann Sie dazu
bringen, dass Sie genau das nicht erkennen. Sie wollen mir das nicht glauben? Müssen Sie auch nicht.
Im Jahr 1955 hat der amerikanische Sozialpsychologe Solomon Asch genau ein solches Experiment durchgeführt. Es gilt heute
als klassischer Beleg für die Macht der Konformität. Asch setzte eine Gruppe von neun Probanden vor eine Leinwand, auf die
er eine Folge von achtzehn Aufgaben projizierte, die der in der Abbildung auf Seite 113 entsprachen: Die Probanden sollten
gleich lange Linien benennen. Bevor es losging, hatte er allerdings acht der neun Probanden (seine Mitverschwörer) instruiert,
bei sechs der achtzehn Vergleichsaufgaben gleichlautend eine
falsche
Antwort zu geben. Asch wollte beobachten, wie sich das neunte Gruppenmitglied verhielt. Würde er (oder sie) angesichts der
abweichenden Meinung der anderen bei seiner eigenen Meinung bleiben und weiterhin die korrekte Antwort geben? Eine Antwort,
die quasi ins Auge sprang? Oder würde er sich dem Gruppenzwang beugen und gegen seinen eigenen Augenschein entscheiden?
Aschs Ergebnisse waren erstaunlich. 76 Prozent der Probanden gaben im Verlauf des Experiments zumindest einmal eine falsche Antwort. Stellen Sie sich das vor! Mehr
als drei Viertel der Beteiligten lösten eine Aufgabe falsch, die so einfach war wie in der Abbildung dargestellt. Das Ergebnis
ist ebenso eindeutig wie beängstigend. Unser Drang, uns anzupassen und in eine Gruppe einzufügen, ist so groß, dass die meisten
von uns bereit sind, sich gegen das zu entscheiden, was sie mit eigenen Augen gesehen haben. Nur um nicht abseits zu stehen.
Die Mehrheitsmeinung ist eine der mächtigsten Kräfte des Universums. Nur wenige von uns haben offenbar die psychische Statur,
sich gegen sie zu stellen. 5
Warum, denken Sie, ist bei Sitcoms das Gelächter vom Band üblich? Und warum ist im Wahlkampf nicht jeder Applaus so spontan,
wie es scheint? Mit solchen Tricks kommt man durch die Hintertür in unser Gehirn und verwickelt unsere Emotionen in eine neuronale
Pantomime. Sie überzeugen uns oder helfen uns vielmehr, uns selbst zu überzeugen, dass das, was wir sehen oder hören, witziger,
unterhaltender und interessanter ist, als es wirklich der Fall ist. Schließlich lachen andere doch auch, applaudieren, jubeln.
Sollen wir abseits stehen?
Doch ist an solchen Pantomimen mehr, als auf den ersten Blick deutlich wird. Die Bestätigung oder Ablehnung, die ein Darsteller
oder Redner bei einem Publikum findet, formt nicht nur unser Urteil darüber, wie witzig oder unterhaltsam er ist, sondern
auch darüber, welchen Einfluss er hat. Oder, während einer Wahl, wie geeignet er ist für ein Amt. Und da wird die Sache ernst.
Kaum eine Studie liefert bessere Beispiele der Beeinflussung als die, die 1992 während des Bush-Clinton-Wahlkampfs durchgeführt
wurde. In einer Gruppe von dreißig Versuchspersonen (von denen allerdings nur zwanzig ahnungslose Teilnehmer waren) agierten
zehn vom Versuchsleiter instruierte Personen, die Bush zujubelten und Clinton ausbuhten. In einer zweiten Gruppe agierten
ebenfalls dreißig Personen, von denen wiederum zehn Personen insgeheim instruiert waren, diesmal jedoch Clinton zuzujubeln
und Bush auszubuhen. In der letzten, der Kontrollgruppe, gab es keine solchen parteiischen » U-Boote «. Welchen Einfluss, so die Frage, würden die beiden Unterstützergruppen auf die uneingeweihten Teilnehmer haben, wie würden
sie deren Urteil beeinflussen?
Die Ergebnisse zeigt folgende Grafik. Der dunklere Balken zeigt die Zustimmungswerte für George W. Bush, der hellere für Bill Clinton. Links die Werte unter dem Einfluss der Bush-Anhänger, rechts unter dem der Clinton-Anhänger.
In der Mitte die neutrale Kontrollgruppe:
Rechts unter den Clinton-Anhängern sehen wir – nicht weiter überraschend –, wie die Zustimmung für Clinton steigt, sobald Bush ausgebuht und Clinton bejubelt wird. Doch sehen wir, was links geschieht,
unter den gleichen Bedingungen im Bush-Lager. Unglaublich, sogar die nicht eingeweihten Bush-Anhänger bewerteten Clinton positiver
als den eigenen Kandidaten, sobald dieser
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