Gehoere ich halt nicht dazu
Vielleicht sollte ich etwas ganz Neues versuchen? Kürzlich habe ich gelesen, dass jemand seinen Kopf auf eine Krei s säge gelegt hat. Absichtlich. Wahnsinn. So blutig muss ich es dann auch wieder nicht haben.
Die neugierige Freude beim Suchen nach einer innovat i ven, hübschen, ansehnlichen und möglichst einzigartigen Form zu sterben wird größer. Vor einigen Jahren ist angeblich irgen d wo jemand nachts in einem Zoo in den Löwenkäfig geklettert. Ich hoffe für das Opfer, dass dies auch wirklich in der Absicht zu sterben gemacht wurde. Es gelang jedenfalls. Ich muss unbedingt zu diesem Thema weite r googeln.
Außerdem hoffe ich, überhaupt mutig genug zu sein , um zu sterben. Naja. Ein paar Tage habe ich ja noch Zeit.
Noch was fällt mir ein: Die Klippen in Irland, von denen sich immer wieder Leute stürzen. Da haben die Fische was davon , und keiner muss die Leichen wegräumen. Irgendwann gab es eine Familie, die gemeinsam diesen Weg wählte. Der Vater hatte sich den behinderten Sohn auf den Rücken gebu n den, die Mutter Spielzeug für das Kind. Fand ich sehr traurig und rührend. Vielleicht finde ich jema n den, der einen Begleiter für den Sprung sucht, um sich gegenseitig die Angst zu nehmen. Aber dann denk ich mir: Erstens, wer sagt, dass mir der B e gleiter sympathisch ist? Ist er es nicht, stört er mich. Im schlimmsten Fall ist er ein verkleideter Lebensretter und hält mich ab. Ist er sympathisch, will ich vielleicht noch ein bisschen mit ihm plaudern , und er hält mich auch ab. Nein, i r gendwie ist das keine gute Idee. Und Lust aufs Wegfliegen hab ich auch nicht mehr. Griechenland reicht.
Ich nehme mir noch einen Kaffee. Schwarz. Frigo ve r kauft derzeit gerade Puzzle-Spiele für Kinder. Eine Arche Noah ist darauf zu sehen, aber ohne Noah. Und alle Ti e re umarmen sich. Schade, dass es keine Freitod-Sets im Abverkauf gibt.
Als Kind habe ich gern Puzzle gespielt. Mir kommt ein Geda n ke. Ich stelle mir vor, das Leben wäre ein Puzzle mit acht Milliarden Teilen. Jeder Mensch hat seinen Platz, lässt sich i r gendwo anfügen. Doch der Teil, der ich bin, pass t nirgends dazu. Früher habe ich mich noch an meine Mutter ang e hängt, meine Großeltern. Aber heute geht das nicht mehr. Sie sind nicht mehr dort wo sie w a ren, ich habe mich verändert. Wir passen nicht mehr zusammen. Ich bin der Teil, der nicht g e braucht wird. Ab in den Müll!
Ich denk nach. Früher hat ein Teil von mir in der Schule mit anderen zusammen etwas Größeres gebildet. Eine Gemeinschaft. Nicht, dass ich in der Schule ein großer, wichtiger Pu z zleteil war. Einmal, als das Klassenfoto g e macht wurde, ging ich noch schnell Zähne putzen, weil meine Mutter mir das befohlen hatte. Als ich aus dem Klo zurück zu den anderen gehen wollte, war die Kla s sentür bereits zu , und ich hörte die Kommandos des Fotografen. Ich blieb vor der Tür. Ich wollte wissen, ob ich jemandem fehle, ob meine Abwesenheit b e merkt wird. Aber dem war nicht so. Ich stand mit meiner Zahnbürste und meiner Zahnpasta vor der Tür und das Klassenfoto wurde ohne mich gemacht. Meine Mutter hat dann kritisiert, dass ich auf den Porträtfotos, die danach von j e dem einzeln gemacht wurden, ein Gesicht hatte, so als wäre gerade jemand gestorben. Dass ich auf dem Klassenfoto feh l te, hat sie nicht bemerkt. Obwohl sie es eine Zeit lang an einer Pinnwand hängen hatte. Und die a n deren haben auch nichts gesagt. Aber so komisch das klingt, ich habe noch irgendwie dazugehört. Ich war auch 1 C, 2 C, hatte eine Klassenbuchnummer und einen fe s ten Platz mit Stuhl und Pult, auf das ich sogar meine In i tialen einritzte. Ich war ein sehr guter, sehr unsicherer und sehr unehrgeiziger Schüler. Von der Demütigung, immer als letzter in die Fußballmannschaften gewählt zu werden, drückte ich mich mit einer Turnbefreiung. Irgen d wann habe ich gedacht, dass ich mehr Akzeptanz finden könnte, wenn meine Noten durchschnittlicher wären. Aber die anderen konnten trotzdem wenig mit mir anfa n gen. Und ich hab sie halt genau beobachtet. Wie sie sich kleine Zettelchen unter der Bank durchgaben. Wie sich Freundschaften entwickelten, zu Feindschaften wurden. Welche Tr a gödien passier t en, wenn ein Kakao über ein Pferdebuch geleert wurde . Wie gelogen wurde. Wie die Mädchen irgendwann interessant wu r den und sich interessant machten. Wie die Lehrer meist simpel gestrickt waren. Wi e Gruppenbildung funktioniert. Dass am liebsten über andere gelacht wurde. Und
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