Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gehoere ich halt nicht dazu

Gehoere ich halt nicht dazu

Titel: Gehoere ich halt nicht dazu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Angerer , Miriam Koch
Vom Netzwerk:
nicht, sondern ich habe eine Lösung für dieses Problem: Die Bäckerei unten am Eck. Dort kaufe ich mir eine Zimtschn e cke und einen Kaffee, setze mich am Rand auf einen kleinen Hocker und sehe dem Treiben zu. Die B ä ckerei hat auch das Frigo-Sortiment im Verkauf, darum fühle ich mich dort wie daheim. Haha.
    Viele der Kunden der Bäckerei wirken beim Einkauf schon eher tot als lebendig. Sie funktionieren gerade noch. Auch sie bringen kein Lächeln in ihre Gesichter. Auch keine Trauer. Keinen Zorn und keine Verwund e rung. Gar nichts. Na ja, es ist ja noch früh. Mir gelingt daraufhin ein kleines, inneres, schadenfroh triumphi e rendes Grinsen. So weit weg voneinander sind wir ja gar nicht, denke ich. Und doch getrennte We l ten.
    Viele haben es furchtbar eilig. Müssen in die Schule, ins G e schäft, ins Büro. Sie kommen rein und sind gleich wieder weg. Viele essen im Gehen. Das ist ungesund, hat meine Mu t ter immer gesagt.
    Ich möchte, dass mich jemand anspricht. Nicht auf Small Talk. Er oder sie sollte sich am besten gleich direkt und intensiv mir widmen. Mir ganz allein. Völlig mir zug e wandt. Interessiert und mitfühlend, teilnahmsvoll und wertschätzend. Mir soll die volle Aufmerksamkeit geh ö ren. Mir , mir , mir. Nur ich zähle in diesem Moment. Nur ein paar Minuten möchte ich das erleben. Dann würde ich aus Glücks e ligkeit und Dankbarkeit der ganzen Welt meine Aufmerksamkeit schenken. Ich würde die Erde beim Gehen spüren, die Sonne meine Haut wärmen lassen und zum Mondlicht beten. Ich würde die Me n schen beobachten und Gerüche wahrnehmen. Schweiß, Kebap, Parfüm, Mann und Frau. Ich würde den Kindern beim Spielen zuwinken und neben den Alten auf der Parkbank sitzen und sogar dem Gurren der Tauben zuhören. Bunte Blumen würde ich sehen, riechen und angreifen.
    Aber solange mich niemand einfach um meiner Willen anspricht, kann mir die Welt gestohlen ble i ben. Gehöre ich halt nicht dazu. Leckt mich doch alle am Arsch. 
    Ich denke wieder über den bald kommenden Freitod nach. Freitod klingt besser als Selbstmord. Wenn ich beschließe zu sterben und es dann umsetze, dann sind das eine Entsche i dung und eine Handlung. Aber doch kein Mord. Ich muss ke i neswegs aggressiv dabei sein. Ich wähle den Freitod. Ja ich will. Ich will. Ich will. Mit dieser Vorstellung kann ich besser leben als mit „ich begehe Selbs t mord“. Und besser sterben.
    Aus meiner Volksschulklasse haben bereits zwei Menschen den Freitod gewählt. Beide sind von hohen Gebäuden gesprungen. Wobei ich weder dem Hochhaus in der Großfel d siedlung in Wien noch dem Einkaufszentrum in Sankt Pölten etwas Attraktives für meinen Fre i tod abgewinnen könnte. Das In-den-Tod- Springen finde ich grundsätzlich nicht so unpassend. Es muss ja nicht gleich der Donauturm sein. Nur mag ich mir nicht vorstellen, wie man aussieht, wenn man da am B o den landet. Und immer wieder hört man von Leuten, die „Glück“ haben, den Fall überleben, weil ein Auto oder Strauch sie gebremst hat. Nein, das ist nichts für mich.
    Also: Was hatte ich noch mal schon alles überlegt? Springen, Auto, Tabletten, Fön. Mit einem Ballon immer höher steigen. Das macht mir richtig Angst. Todesangst. Ein Selbstmörder aus meinem früh e ren Umfeld fällt mir noch ein: Ein Lehrer aus meiner Schule. Er hat sich vor den Zug geworfen. Diese Form empfinde ich schon eher als Selbstmord. Das ist weniger Freitod. Ich kann es nicht genau erkl ä ren , warum. Vielleicht ist es unfair, anderen im Nachhinein so eine Drecksarbeit zu bereiten. Ja. Und der arme Lokführer. Nur weil mein Leben verpfuscht ist, muss ich nicht auch noch seines kaputt m a chen. Und ich will nicht, dass mein Blut an einer der roten Taurus-Lokomotiven klebt. Deshalb wah r scheinlich finde ich Springen und vor den Zug schmeißen verwerflich. Da wären wied erum Tabletten praktischer und menschen schonender. Und die Pharma-Industrie würde sich auch freuen. Aber das wäre wiederum ein besonders öder Tod. Beim Springen kön n te ich wenigstens noch einmal etwas erleben was Lebenden, was Nicht-Selbstmördern in der Regel für immer verschlossen bleibt. Es sei denn, jemand rutscht am Donauturm irrtümlich aus und fällt unglücklich in die Tiefe. Dann erlebt er dasselbe. Alle r dings in Todesangst. Ich hingegen in Todessehnsucht. In Todesfreude. In Todeslust. Manchmal freue ich mich schon richtig drauf. 
    Aber es muss doch noch mehr Varianten geben, um freiwillig vom Leben zu scheiden.

Weitere Kostenlose Bücher