Gehoere ich halt nicht dazu
irgendwie. Zum Glück war Florian nicht da , und wir konnten zu ihr.
Ich denke wieder mal nach, was alles zu tun wert wäre, sola n ge ich noch am Leben bin. Allein die Möglichkeit das zu planen ist toll. Ein eindeutiger Vorteil des Freitodes. In schlec h ten Filmen kommt der Tod meist plötzlich , dann wenn i r gendwas gerade am Schönsten ist. Wenn alle glücklich sind. Der Mann kehrt unverwundet vom Krieg zurück zu seiner Familie. Und wird vom Traktor des Nachbarn überfahren. Oder: Er und sie planen eine ganz liebe Vorzeige-Familie. Sie stirbt bei der Geburt. Tr a gisch. Amerikanisch.
Das bleibt mir jedenfalls erspart. Ich sterbe, wenn mein Leben gerade am Beschissensten ist. Das ist kein großes Unglück. Das passt.
Also was noch tun? Einen Fallschirmsprung machen? Oder einen Banküberfall? Jemanden töten? Oder jemanden retten? Geld von Böse nach Gut umverteilen? Das Weltklima verbessern? Energiekonzerne erpressen? Sex mit einer Asiatin? He i raten? Nackt U-Bahn fahren? In ein gutes Restaurant gehen?
Manchmal kommt mir meine Fähigkeit, mich nicht entsche i den zu können, recht gelegen. Ich mache also nichts. Sterbe einfach. Beziehungsweise werde gesto r ben. Durch eigene Hand. Oder zumindest durch eigenes Hirn. Ich sollte mich jetzt wirklich bald entscheiden, wie ich sterben möchte. Sonst hält mein Zeitplan womöglich nicht. Sonst schaffe ich auch das nicht.
Ich weiß nicht, ob Jolanda mich mag. Manchmal schweigt sie zu viel, dann redet sie wieder zu viel. Aber es ist richtig , sie zu umarmen. In ihr gewesen zu sein. Sie fühlt sich gut an. Das, was wir machen, fühlt sich gut an. Aber wir, wir gibt es nicht. Ich, ich, ich. Und sie. In St ü cken. Ihr Mund, ihre Brüste, ihre Beine, ihr Arsch, ihre Angst, ihre Stimme. Als ganzer Mensch existiert sie nicht für mich.
Ein Buch, das ich auch schreiben wollte, hätte ich gern „Komm zu mir, in mir zu dir“ genannt oder „was war“ oder „L wie Liebe, M wie Mord“. Ich konnte mich nicht einmal für den Titel entscheiden. Die Geschichte wäre banal gewesen. A liebt B und läuft ihm hinterher. B ign o riert A. A beginnt zu stalken, bis sie in die Psychiatrie eingewiesen wird. Von dort schickt sie B immer noch SMS. Dieses Kapitel wäre aus Sicht von A erzählt. Dann kommt das Kapitel aus Sicht von B, das weit mehr darum geht, dass B C liebt, die aber ein Kind von D hat und dass die achtjährige Beziehung die B und C trotz der gr o ßen Liebe von B führten, nur zwei gute Wochen hatte. Der Rest war Streit und Katastrophe. Und jetzt liebt C E, und von ihm erwartet sie ein zweites Kind. Kapitel C ist aus Sicht von C zeigt, wie verwirrt, planlos und wankelmütig C ist. Das D-Kapitel schildert die Eifersucht von D auf E und auf B. E war vorher mit F zusammen, E und F waren befreundet mit G und H, ein Paar, das seit Jahren schon ein gutes Paar ist, wobei H aber den Schwärmereien von I mehr und mehr erliegt und überlegt, G zu betrügen und wo Betrug anfängt. I indes schwärmt nicht nur für H, sondern J und K, zwei Freundi n nen. Das alles immer aus Sicht der Betroffenen. Dann macht L ein Fest, zu dem er all diese Personen einlädt. Dort drehen nacheinander ein paar Leute durch. Und irgendwann wird I umg e bracht und man weiß nicht von wem. Kommissar M, der sich bei den Zeugenbefragungen in H verliebt hat, muss nun den Mörder oder die Mörderin finden. Er hat das Kapitel M in dem Buch, das der letzte Teil ist.
Am liebsten wäre mir, Jolanda würde mich umbringen. Aus Leidenschaft oder Liebe. Oder aus Hass. Während wir Sex haben. Bloß, ich glaube, dazu ist sie viel zu sanft. Und ein b e stellter Mord an einem selbst ist auch komisch. Vielleicht könnte mich auch Florian versehentlich erschießen. Nur ke n ne ich niemanden, der dem Kleinen Waffen zur Verfügung stellen kann. Und dass Jolanda und der Balg damit leben müssen mich getötet zu haben, nein, das will ich irgendwie auch nicht. Aber immerhin m a che ich Pläne: Ich beschließe, dass Jolanda meine Wohnung und Florian mein Auto erben soll. Weil ihre Wohnung ist winzig klein, dunkel und sehr Substa n dard. Man glaubt Schimmel zu riechen. Aber für eine Nacht war mir das egal. Nur die Kuscheltiere von Florian auf dem Bett brachten mich kurz aus dem Konzept. Ich finde es toll, wie Jolanda bis in die Nacht putzt und in der Früh dann zu Frigo eilt. Aber ich finde auch, das ist kein gutes Leben. Das ist ein beschissenes Leben. Mich wundert, dass sie keine Freitod-Gedanken hegt.
Florian
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