Gehoere ich halt nicht dazu
hat ja bei seiner Tante übernachtet, ich habe Jolanda in der Früh zur Bäckerei gebracht und das war sehr, sehr früh. Dann bin ich in meine Wohnung gega n gen.
Das Schaukelpferd von Frau Schönthaler fällt mir ein. Das würde Florian gefallen. Ich weiß, es gibt ein Foto von mir auf einem Schaukelpferd. Aus Holz. Das Pferd ist eine einfache Platte. Nur ich weiß nicht , wo das Foto ist. Die Erinnerung ist in meinem Kopf. Dann fällt mir ein, dass ich mich ja auf das heutige Begräbnis vorbereiten muss. Ich rufe Frederick an. Er begrüßt mich freudig und fängt dann fast an zu weinen. Ich sage kaum was.
„Wollen wir noch zusammen frühstücken“, frage ich, weil mir nichts anderes einfällt.
„Ja, gerne“, sagt er. „Soll ich zu dir kommen?“
„Nein, gehen wir lieber in ein Lokal.“
„Oder komm zu mir rüber“, schlägt Frederick vor.
„Okay. Ich zieh mich nur noch um.“
Ich weiß nicht genau, was ich für das Begräbnis anziehen soll. Ein schwarzer Anzug ist zu viel der Ehre. Sie war ja bloß eine Nachbarin. Eine helle Cargo-Hose mit blauem Sweatshirt wi e derum ist zu wenig. Ich nehme schließlich eine dunkle Jeans und einen grauen Pullover. Meinen grauen Mantel nehme ich auch noch mit. Ich wirke langweilig. Es ist halb neun, in eineinhalb Stunden mü s sen wir am Friedhof sein. Draußen ist das Wetter grau. Wie mein Pullover. Wie Blumfeld. Wo ko m men all die grauen Wolken her?
Bei Frederick duftet es nach Kaffee.
„Ich backe uns gerade noch ein bisschen Brot auf. Ich hoffe, du hast Hunger“, sagt er.
Ich nicke.
Bei Frederick ist aufgeräumt. Überall stehen Pflanzen. Die Wohnung ist modern eingerichtet, mit vielen Bildern an der Wand, vielen Büchern in den Regalen und bunten Möbeln. Der Tisch im Woh n zimmer ist liebevoll gedeckt. Aber so, dass es noch nicht angeberisch wirkt. Es gibt zwei Arten von Käse, ein bisschen Schinken, Tomaten und Eier, Marmelade und Butter. Ich hätte gern eine Mutter wie Frederick gehabt. Ein Klavier steht im Raum. Und eine Frage.
„Hast du keinen Fernseher?“, frage ich.
„Doch, der ist im Arbeitszimmer.“
„Es ist eine schöne Wohnung“, sage ich.
Am liebsten würde ich weinen. Es ist mir alles zu viel. Ich de n ke an den Tod, an das Begräbnis, an Jolanda, an Fl o rian, an meine Mutter, an meinen Vater, an Schlangen, ich denke parallel, kreuz und quer, finde keinen klaren Gedank en. Tilt ! Und Tilt ist definitiv ein Gefühl.
„Ich hole noch das Brot“, sagt Frederick.
Warum kann nicht alles einfach sein, frage ich mich. W a rum bin ich keine Frau und Frederick mein Freund? Warum bin ich nicht Frederick? Mir kommt eine komische Idee. Ich könnte Frederick umbringen und dann sein Leben führen und MICH beerdigen. Feindliche Übe r nahme sozusagen. Aber dazu sollte ich mehr über Frederick wissen. Was er arbeitet, welche Freundschaften er pflegt. Außerdem schau ich ihm leider überhaupt nicht ähnlich. Insofern müsste es einen Unfall g e ben, bei dem auch mein Gesicht schwer beschädigt wird. So wie Mitch bei Dallas. Oder war das doch der Denver-Clan? Mitch sah damals nach dem Unfall besser aus als davor. Vie l leicht nicht so schlecht. Vor den Schmerzen fürchte ich mich aber. Und ich weiß nicht, ob ich als Frederick wirklich glüc k lich wäre. Schließlich mag ich ihn nicht. Ich mag allerdings auch mich nicht. Also könnte es ja vielleicht doch funktioni e ren.
„Was bist du denn eigentlich von Beruf“, frag ich, um mein mögliches neues Leben ein bisschen be s ser kennen zu lernen.
„Autor, PR-Berater und Trainer. Und 20 Stunden im Monat arbeite ich unentgeltlich in einem Ho s piz.“
„Wow, das sind viele Jobs“, denke ich mir. Und schon ist mir alleine die Vorstellung Fredericks Leben weiterzuleben zu anstrengend. Schreiben, beraten, lehren. Und am Schlimm s ten: Freiwillig und ohne Kohle a nderen helfen. Alten Leuten den Hintern auswischen. Widerwärtig. Ich mag lieber nichts tun.
„Und was machst du“, fragt Frederick.
„Ich bin im mittleren Management“, lüge ich. „Aber ich habe ein Burn Out.“
Ich esse eine Schinkensemmel. Dann eine Marmeladese m mel. Ich trinke Kaffee. Wir schweigen viel. Aber es ist nicht unangenehm.
„Hast du schon viele Bücher geschrieben“, frag ich.
„Drei“, sagt er. „Magst du sie sehen?“
Ich nicke. Eines ist dünn und eigentlich kein Buch. Darin b e schreibt er seine Arbeit im Hospiz, man sieht schöne Schwarz-Weiß-Fotos von dürren, alten Menschen und findet
Weitere Kostenlose Bücher