Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geier (German Edition)

Geier (German Edition)

Titel: Geier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter J. Kraus
Vom Netzwerk:
den Abhang hinuntergestoßen, legte eine Schicht grasbewachsener Erde, die er wohl vorher ausgestochen hatte, wieder über die aufgerissene Stelle und harkte sorgfältig alle Zeichen seiner Arbeit weg. Dann schaute er noch mal um sich, wusch sich mit dem Gartenschlauch, zog sich wieder an und fuhr auf die Straße. Ich hörte noch, wie er im Racingstil bergab brauste.
     
    Ich saß im Grünen und schaute verdutzt auf die Stelle, wo einer ein Vermögen verbuddelt hatte. Und die Stelle mit Samen markiert, wie ein Pirat im Schatzinsel-Porno.
     
    Die Sonne stand schon sehr tief. In zwanzig Minuten würde es dunkel sein. Ich schaute mich um, merkte mir einen besonders hohen, schönen Baum zur Orientierung und stieg zum Garten hinab. Sehr vorsichtig ging ich zum Wohnwagen und machte ein Foto vom Gelände zwischen der Rückwand und dem Abhang, von dem aus ich alles gesehen hatte. Dann ging ich in den Garten, fotografierte die Grabstelle – denn als das hatte ich sie in unauslöschlicher Erinnerung – aus allen möglichen Entfernungen, bis ich über ihr stand. Das große Display auf der Kamerarückwand zeigte den Ausschnitt, den ich fotografiert hatte, und so, wie sich das Bild darbot, so wollte ich es haben. Da brauchte ich nicht lange suchen, wenn der große Tag kam.
     
    Inzwischen war es fast dunkel, also ging ich wieder durch den Wald zu meinem Beobachtungsposten, von dort aus zum Auto, und fuhr wie im Tran bergab zum Highway 166, um nicht durch das Santa Maria Tal zu müssen. Ich fuhr einen gewaltigen Bogen, der mich erst nach New Cuyama brachte, von dort aus über dreißig Meilen unbefestigte Schotterstraße durch die menschenleere Wüste des Carrizo Plain bis zum strahlend weißen, knochentrockenen Soda Lake. Dann ging es auf Bitterwater Road nach Cholame, wo James Dean vor fast einem halben Jahrhundert Nirwana fand. Dreißig Minuten später klopfte ich an die Missionstür.
     
    Ich hatte von unterwegs angerufen und Ignacio gesagt, wann ich etwa eintreffen würde. Er versprach, mit dem Essen auf mich zu warten.
    Wir setzten uns in die geräumige geweißelte Küche und aßen mexikanisch. Ignacio hatte Burritos vorbereitet, im Kühlschrank waren noch Tamales, auf denen die Church Ladys des Ortes sitzen geblieben waren. Die Church Ladys hatten nämlich den ganzen Tag lang Selbstgekochtes im Ort verkauft, um das nötige Geld für die Anschaffung einer neuen Our Lady Of Guadalupe-Heiligenfigur zusammenzubringen.
    Sie hatten sich darauf versteift, eine der wunderwirkenden Maria Guadalupes aus dem mexikanischen Bergdorf Tolpetlac zu kaufen, in dessen Nähe die Muttergottes an einem Sonnabend im Jahr 1531 dem Indio Juan Diego erschien. Die geschnitzten Marien aus Tolpetlac führten weltweit die Bittgebet-Erfüllungs-Statistik, und so eine musste her.
    Die Holzschnitzer im Bergdorf handelten nach den Grundzügen des Kapitalismus; ihre Preise richteten sich nach dem gerade vorhandenen Bedarf. Als eine große amerikanische Publikumszeitschrift die wunderwirkenden Marien entdeckt hatte und seither regelmäßig berichtete, schossen die Stückpreise ins unermessliche. War vorher eine bunt lackierte, lebensgroße Pinienholzmaria für dreihundert Dollar zu haben, kostete das erfolgreiche Modell nun vierundvierzigtausend.
    Da mussten viele Church Ladys viele Tamales wickeln und kochen. Aber das taten sie ja gern.
     
    Er wollte wissen, wie mein Tag war. Ich log irgendetwas zusammen, denn ich konnte ihm ja wirklich nicht die reine Wahrheit sagen. Nicht über den Tagesanfang, nicht über den Mittelteil und besonders nichts über den Abend erzählen.
     
    Wir tranken noch ein Bier zusammen und verabschiedeten uns dann. Ich musste am Morgen wieder nach Santa Maria, und das neue Datum war schon längst angebrochen.
     
    Als ich von hinten her wieder über den Tepusquet fuhr, traute ich mich nicht, anzuhalten und nachzuschauen, ob „mein“ Geld noch da war. In jedem Wohnwagen, der irgendwo steht, wohnt irgendwann jemand. Und dem Jemand wollte ich nicht in die Quere kommen. Ich fuhr also an der Einfahrt vorbei, hielt hinterm Gebüsch gegenüber meines Aussichtsbaumes und setzte mich wieder ins Geäst. Ich hatte ein Buch dabei, hatte mir in Paso noch Dauerwurst und Bier geholt, und saß nun stundenlang, las, trank, aß und langweilte mich. Nichts war los.
    Zwei Stunden hockte ich als Eichhörnchen da, bis der erste Mittagsgast auftauchte. Und bald darauf der erste Gast, der nicht auf dem Parkplatz hielt. Here we go again. Wie gestern.

Weitere Kostenlose Bücher