Geier (German Edition)
Verkehrszusammenbruch durch Ausbesserungsarbeiten garantiert wird. Ich fuhr also im Schrittempo um die langgezogene Rechtskurve, von deren Höhe aus der helle, kilometerlange Pismostrand zu sehen ist.
Wenn ich mich anstrengte, konnte ich sogar bis zu meinem Mobilheim schauen. Von meiner Veranda aus sah ich diesen Freewayabschnitt und hörte ihn nachts, besonders wenn die schnellere I-5 im Inland vernebelt war und viele Lastwagen von Los Angeles nach San Francisco den Küstenfreeway entlang fuhren. Dann donnert und klirrt der Verkehr die ganze Nacht. Eine Zehnbiernacht nannte ich sowas, denn mit weniger Stoff im Bauch konnte ich solche Nächte nicht durchschlafen.
Drei dunkelbraungebeizte Herren arbeiteten am Rand des Freeway. Drei orangefarbene Lastwagen standen auf der abgesperrten Überholspur, und von den drei Männern in orangefarbenen Warnwesten stocherte einer mit einem langstieligen Werkzeug am Straßenrand, während seine Kollegen Rat gaben. Danach war wieder freie Fahrt, und ich war zwanzig Minuten später im Santa Maria Valley.
Die Weinstöcke trugen nun winzige Rebenansätze, von mexikanischen Feldarbeitern sorgfältig gehegt. Über dem breiten Tal kreisten Raubvögel. Bezeichnend, ging mir durch den Sinn. Große, schwarze Vögel mit gewaltigen Krallen, axtartigem Schnabel und völlig ohne Gewissen.
Der Cadillac trug mich am Restaurant vorbei, auf dessen Parkplatz schon einige Autos standen. Mittagszeit. Ich hatte auch Hunger, trotz der schmackhaften Julie und dem anschließenden Plundergebäck, aber natürlich kam das Stage Coach Inn nicht in Frage.
Ich holte mir in der winzigen mexikanischen Tienda am Fuß des Tepusquet Tortillachips und zwei Einweckgläser voller selbstgemachter Salsa, eine Sechserpackung Cola und zwei Tafeln Schokolade für alle Fälle. Dann fuhr ich die kurvenreiche, schmale Straße hinauf, bis ich zu meiner Aussichtsstelle kam. Ich stellte den Cadillac wieder im Wald ab und überquerte die Straße, kletterte ins mittlere Geäst einer am Abhang wachsenden Eiche und machte es mir in einer breiten Astgabel bequem.
Unsere kalifornischen Goldeichen sind vor achtzig Jahren nur mit Glück der Ausrottung entgangen. Die kleinen Bäume mit den breiten Stämmen und Ästen und der dichten Krone waren zur Mangelware geworden, weil ihr goldleuchtendes, hübsch gemasertes Holz den Grundstoff der Missionsmöbelmode lieferte. Die klobigen Sessel und Tische, hundertjährigen, von Indianern handgezimmerten Möbeln in den Missionen nachempfunden, waren zehn Jahre lang der letzte Schrei, und die gewaltigen Eichenwälder Kaliforniens mußten dran glauben.
Als Holzfäller sich auch an abgelegene, schwer zugängliche Wäldchen machten, änderte sich die Mode: Moderne wurde modern. Und kein Mensch wollte mehr Goldeichenmöbel. Gottseidank. Denn unsere Eichen, die paar alten überlebenden und die neuen, nachgewachsenen, sind einfach wunderschöne Bäume. Ducken sich in den Wind, werfen mit ihren ausladenden Ästen gewaltigen Schatten und stehen gluckenhaft über Wildblumen und hochwachsendem Gras, das unter ihrem Schutz gedeiht.
In solch einer Eiche saß ich nun, den Feldstecher umgehängt, auf jeder ebenen Stelle eine Tüte mit junk food, und schaute auf die Stage Coach Inn, die in der Hitze waberte.
Gegen halb drei kam das erste interessante Auto. Eine dunkle Limousine, die am Restaurant vorbeifuhr und auf dem Hof nach rechts bog. Ohne anzuhalten verschwand es in der Scheune. Knapp zehn Minuten später tauchte es wieder auf dem Hof auf, fuhr gemächlich zur Straße zurück und nahm Geschwindigkeit auf. Gleich darauf wiederholte sich das, und es blieb so den ganzen Nachmittag.
Mir war eine gewisse Gleichmäßigkeit aufgefallen. Alle fünfzehn Minuten war ein Neuer da, fast auf die Sekunde genau. Entweder reiner, unglaublicher Zufall oder Generalstabsarbeit.
Sieben Autos sah ich, in ebensovielen Viertelstunden. Dann riß die Kette ab. Ich saß eine Stunde, ohne daß jemand hinein oder hinaus gefahren wäre. Kurz vorm Einnicken war ich – die Julie hatte mich doch verdammt mitgenommen – als ein Auto aus der Scheune fuhr, das nicht hineingefahren war. Jedenfalls nicht in den letzten Stunden. Es wurde auch bis zur Straße gelenkt, bog dort aber nach links statt wie die anderen nach rechts ab. Und kam in meine Richtung.
Das Schöne am Santa Maria Valley, oder Tepusquet Canyon, wie es hier vorne heißt, ist, daß nur eine Straße durchführt. Dreihundert Meter hinter dem Stage Coach
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