Geiseldrama in Dribbdebach (German Edition)
Bald wissen wir, wer er ist und dann geht’s ihm ans Leder.“
Zum Apostel sagte er: „Und Sie, Herr Pfarrer haben das ausgezeichnet gemacht. Ihr Freund Schweitzer natürlich auch. Wenn bloß alle Menschen so pfiffig wären …“
Der Pfarrer, beziehungsweise Apostel, wünschte sich manchmal, wie heute zum Beispiel, die Gemeinde des Barmherzigen Heilands von Nazareth und Umgebung würde mit Pfarrern statt mit Aposteln agieren, dann würde er nicht immerfort erklären müssen, daß er auf jeden Fall Apostel und, Gott bewahre, schon gar nicht ein Pfarrer war. Aber wegen so einer Kleinigkeit würde er bestimmt nicht vom Glauben abfallen, sicherlich war dieser Kaschtaschek nur eine weitere Prüfung Gottes. Er zwang seine Gedanken auf ein anderes Thema und landete, wen wundert’s, bei seinem Freund Simon Schweitzer, der sich seiner Ansicht nach in akuter Lebensgefahr befand. Es schnürte ihm das Herz zusammen.
Daß er Herrn Schweitzer nicht richtig verstanden hatte, war bei diesem Sturm nun wirklich nicht verwunderlich und sollte auch nicht als Menetekel betrachtet werden. Ob der Geiselnehmer nun Ludger Winkler oder Trinklein hieß, war vollkommen unwesentlich, da es in ganz Deutschland keinen straffällig gewordenen Ludger Winkler gab, nach dessen Charakterprofil sich eine mögliche polizeistrategische Vorgehensweise hätte richten können.
Doch bekamen in der nächsten Stunde die drei im Rhein-Main-Gebiet lebenden Ludger Winklers Besuch von der Polizei. Der erste war an Jahren fünfundachtzig, der zweite Polizist und der dritte mittenmang beim Sex. Doch auch letzterer hatte mit der Sache nichts zu tun, wurde aber, da der männliche Sexualpartner mehr als minderjährig war, festgenommen.
Der Fernseher lief, das Antennenkabel war lang genug. Der Ton war abgestellt, denn noch war keine Tagesschau-Zeit. Der dem Trunke sehr ergebene Hardcoretraveller Johnny öffnete gekonnt den nächsten Portugieser. Durch die Bank war man sehr ermattet, wie nach opulentem Mahle üblich.
Herr Schweitzer wurde durch Oma Hoffmann aus seinem Sinnieren über die gegenwärtige Lage aufgeschreckt, die in die seit etlichen Minuten anhaltende beschauliche Stille plötzlich sagte: „Mist, ich muß doch Trixi anrufen und den Konzertbesuch absagen. Eigentlich ist es schon zu spät dafür.“
Es wurde ihr auch diesmal unter der Prämisse gestattet, den wahren Grund nicht zu verraten.
„Mag noch jemand telefonieren? Für heute wär dann Schluß damit.“ Der Geiselnehmer schaute sich um.
Er überlegte hin, er überlegte her, dann entschloß er sich. Doch Herrn Schweitzers Untermieterin Laura Roth war zum Glück nicht zu Hause, so kam er um’s direkte Lügen herum, denn das hätte er tun müssen, wollte er das Fernbleiben über Nacht erklären, ohne Ludgers Vorgabe, nichts vom Banküberfall zu erwähnen, zu mißachten. Er gehörte zu den Menschen, die ungern logen, selbst Notlügen waren tabu. Dem Anrufbeantworter band er den Bären auf, er würde bei Maria übernachten, aber Anrufbeantworter zählten nicht. Nachdem er aufgelegt hatte, fiel ihm auch wieder der Grund für Lauras Abwesenheit ein. Heute war nämlich Mittwoch, und da hatte sie ihren Weinkurs. Und dieser Kurs hatte mit dem Wein, zu dem sich die Geisel Johnny so magisch hingezogen fühlte, rein gar nichts zu tun. Vielmehr ging es darum, sich durch die Tätigkeit Weinen von aller psychischen Pein zu befreien, auf daß das Ich auf die nackte Existenz zurückgeworfen werde und man hernach, nach dem Ende aller Kurse, für immerdar ersprießlich über dem Erdboden schwebe. Natürlich würde der Preis für diese metaphysische Katharsis einer ostwestfälischen Krämerseele die Tränen in die Augen treiben, aber Laura hat’s ja.
Trotz des Drangsals sah Herr Schweitzer von einem Anruf bei seiner Maria ab. Das ist wahre Liebe, befand er, die eigenen Bedürfnisse zurückstellen, damit ein anderer sich keine Sorgen machte. Und dann hieß es unbarmherzig seitens seiner Angebeteten, er würde klammern. Das war nämlich so was von daneben, daß es nur so krachte. Er hatte nämlich noch nie geklammert und damit basta. Inständig hoffte er, daß von der Polizei- oder der Apostelseite her nichts von seinem Martyrium zu Maria von der Heide durchdringt. Zumindest noch nicht. Es reichte schon, wenn er sich Sorgen machte. Doch eigentlich machte er sich keine Sorgen, das brauchte aber niemand zu wissen. Je größer die Gefahr, in der er sich befand, desto größer der Ruhm, der ihm in Sachsenhausens
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