Geiseldrama in Dribbdebach (German Edition)
als er todsicher auf Abseits getippt und dies auch schon durch einen lauten Abseits-Ruf verkündet hatte. Nachdem er dutzendfach mitleidige Blicke von anderen Kneipenbesuchern, denn dort war er meist zufällig zu den Partien anwesend, auf sich gezogen hatte, war es ihm zu bunt geworden, und er schwieg fortan zum Thema Fußball. Nur über die Eintracht wagte er es, ab und an Fragen zu stellen. Ob sie denn am Wochenende gewonnen habe oder wieder mal ab- oder aufgestiegen sei, denn der permanente Ligawechsel schien der Eintracht in gewisser Weise in den letzten Jahren ins Blut übergegangen zu sein, was man so mitkriegte. Ach ja, und Jürgen Grabowski und Bernd Hölzenbein waren ihm noch ein Begriff, aber die waren schließlich auch Weltmeister. Außerdem kannte Herr Schweitzer einen, der wiederum einen kannte, dem Bernd Hölzenbein gestanden haben soll, daß es damals im Endspiel gar kein Foul von dem Holländer Wim Jansen, vielmehr eine unsportliche Schwalbe seinerseits gewesen sei. Aber das wurde in Fachkreisen sowieso schon lange gemunkelt.
Blieb festzuhalten, daß auf dem Bildschirm Weiß gegen Rot spielte und daß es nicht regnete. Und soweit Herr Schweitzer das zu beurteilen vermochte, konnte keine der beiden Mannschaften die Eintracht sein, denn die spielte mal wieder eine Etage tiefer. Für ihn war es der richtige Augenblick, mal wieder seine Gedanken zu ordnen.
„Bingo“, rief ein subordinierter Polizeibeamter in das teilweise abgedunkelte Wohnzimmer des Rentnerehepaares Blaus hinein. „Ludger Trinklein. Es läuft ein Prozeß gegen ihn …“
„Wegen was?“ unterbrach Oberkommissar Kaschtaschek barsch.
„Moment.“ Zwei Mausklicks später: „Wegen Mißbrauchs seiner Tochter Magdalena-Theresa. Angezeigt hat ihn seine Frau. Und das Tollste dabei ist …“
„Ja, was denn?“ Kaschtaschek hatte gegenwärtig Probleme mit seiner Geduld. Das lag vor allem an der ungewohnten Richtung, die der Fall nahm. Seit bekannt war, daß der Bankräuber mit der Filialleiterin liiert war, hatte sich großes Unbehagen breitgemacht.
„… daß der Prozeß für Freitag, also übermorgen anberaumt ist.“
Dies war nun in der Tat eine überraschende, wenn auch essentielle Wendung der Geschichte, die von Annie Landvogt auch sogleich erkannt wurde: „Ich frage mich, ob ich an der richtigen Stelle bin. Als Profilerin beschäftige ich mich mit Kriminellen in Extremsituationen. Gut, eine Extremsituation mag vielleicht vorliegen, aber ein Eheberater könnte hier vielleicht mehr ausrichten.“
Kaschtaschek: „Der Schwachkopf läuft Amok.“
Annie Landvogt: „Glaubst du wirklich?“
Der Oberkommissar zuckte mit der Schulter. „Was weiß ich. Aber stell dir mal die Situation vor, in der sich dieser Trinklein befindet. Ehe am Arsch, Prozeß wegen Kindesmißbrauch am Hals, dazu ist er wahrscheinlich noch ein bißchen plemplem und schon ist Essig mit vernünftigem Handeln. Wir, oder besser die Geiseln sitzen auf einem Pulverfaß.“
„Aber bisher hat er sich doch recht zivilisiert verhalten, oder? Als Amokläufer hätte er doch schon längst losgelegt.“
Und dann hatte Annie Landvogt eine Idee. Oberkommissar Kaschtaschek sah es ihrem Gesichtsausdruck an. Nicht umsonst waren sie schon lange ein eingespieltes Team. Da kannte man den anderen, und deshalb ließ er ihre ohnehin nur rhetorisch gemeinte Frage unbeantwortet.
„Weißt du was, Heiner?“
Heiner schwieg, wartete wie auf heißen Kohlen auf die Fortsetzung.
Und die kam: „Der Verteidiger von diesem Trinklein. Der, der ihn übermorgen im Prozeß vertritt. Der müßte den Trinklein doch kennen wie seine eigene Westentasche.“
War noch vor wenigen Sekunden Trübsal blasen angesagt, so hieß es urplötzlich Carpe noctem. Heiner Kaschtaschek, Archetypus aller Glücklichen dieser Welt, nahm den Kopf seiner Kollegin zwischen seine schaufelgroßen Hände und küßte sie aufs Haupt.
„Und den Anwalt von dieser Filialleiterin, den will ich auch hier haben. Und zwar in weniger als einer halben Stunde. Und findet raus, ob’s vielleicht tatsächlich einen Eheberater gibt. Wenn nötig, mischt dazu ganz Sachsenhausen auf. Die Nachbarn, die Eltern, Arbeitskollegen, das ganze Programm.“
Kaschtaschek bellte die entsprechenden Befehle, war ganz in seinem Element und hatte vor, sich das Heft von nun an nicht mehr aus der Hand nehmen zu lassen. Die Launen des Schicksals hatten es mal wieder gut mit ihm gemeint.
Zwölf Minuten später wurde er ans Telefon gerufen. „Die
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