Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co
gezwungen gesehen, seine Praxis aufzugeben. So endete seine vielversprechende medizinische Laufbahn bereits im Alter von zweiundvierzig Jahren. Seine Interessen hatten sich auf Nervenkrankheiten und Hypnose verlagert - Themen, die nach Ansicht des Nachrufs in der Times seiner eigenen geistigen Gesundheit vielleicht nicht gut getan hatten. Es war auf »einen hervorragenden Intellekt in Verfall und Verwirrung« hinausgelaufen. 17 Jackson hatte diesen Verfall aus nächster Nähe miterlebt: Z. und er waren Nachbarn am Manchester Square.
Auf Bitte Jacksons führte sein Kollege Walter Colman eine Autopsie durch. Colman fand in einer der linken Windungen eine Stelle, an der das Hirngewebe aufgeweicht war. Gemeinsam schrieben sie einen Bericht, in dem Jackson auch die Eigenarten des >dreamy state< darstellte. 18 Einmal hatte er einen solchen Anfall beobachten können, weil Z. in diesem Augenblick in seinem Sprechzimmer gewesen war. Er hatte plötzlich zu sprechen aufgehört, sich kurz darauf auf den Boden rutschen lassen, war mit einer Reißzwecke wieder aufgetaucht, hatte getan, als wolle er Jackson damit piksen, und war Augenblicke später anscheinend wieder er selbst gewesen. Sicherheitshalber hatte Jackson nach der Sprechstunde Z. zu seinem Haus begleitet. Unterwegs hatten sie über Jacksons Vorhaben gesprochen, noch ein zusätzliches Zimmer an sein Haus anzubauen. Am nächsten Tag erzählte Z., er habe sich ab dem Moment, als er das Sprechzimmer betreten habe, an nichts erinnern können. Aus der Tatsache, dass er sich >an-schließend< in seinem eigenen Haus befand, schloss er, dass ihm ein Stück aus seinem Gedächtnis fehlte. Jackson zitierte auch Notizen, die Z. gemacht hatte, als ihn der >dreamy state< während einer Sprechstunde überfallen hatte. Sie lesen sich wie das unzusammenhängende Gemurmel eines Menschen, der im Schlaf redet: »For the last 18 mos years there has been some decided indefinite on R side in dress circle«. 19
Für Jackson passten diese Symptome in seine Theorie der Gehirnhierarchie. 20 Bei Z. traten negative Symptome auf wie der Verlust des bewussten, konzentrierten Denkens, das nicht im Gedächtnis gespeichert wurde. Aber derselbe Verlust beförderte gerade das positive Symptom der rein automatisch ausgeführten Handlungen wie Z.s offensichtlich ungestörte Gletscherüberquerung oder die routiniert durchgeführte Untersuchung eines Patienten. Manchmal ging das so weit, dass der Patient ein Verhalten an den Tag legte, das bei einer gesunden Person geradezu unverschämt wäre. Das war auch bei Z. das ein oder andere Mal geschehen. Jackson behielt taktvoll für sich, was genau vorgefallen war, aber über andere Patienten berichtete er, dass manchmal eine manische Aggression auf den Anfall folgte. Es ist völlig klar, was Jackson damit sagen wollte: Ohne Kontrolle und Beherrschung durch höhere Zentren kommt aus den niedrigeren Zentren nicht viel Gutes. Rund ein Jahrhundert später wissen wir, dass die Aggression und Raserei, der furor epilepticus, häufig Reaktionen auf gut gemeinte Versuche der Umstehenden sind, den Patienten in Schach zu halten, was der Patient in seiner Verwirrung jedoch als Bedrohung erfährt. 21
»SCHWEIN, ROHLING, DUMMER IDIOT!« FRAU B. BITTET SIE, PLATZ ZU NEHMEN
Auch über einen anderen neurologischen Weg kam Jackson zu dem, was wohl unumgänglich schien: das Niedrige und Gefährliche, was einem Gehirn entspringen konnte, wenn die Kontrolle von höherer Hand fehlte. In den Jahren nach 1860, in derselben Zeit, in der Broca seine Studien über Aphasie veröffentlichte, begann Jackson, Fälle von neurologischen Patienten mit Sprachstörungen zu sammeln. Genau wie bei Broca wurden diese Störungen zu Argumenten in einer Debatte über die Dominanz der Hemisphären. Jackson schrieb rund dreißig Jahre lang über dieses Thema. 22 Wie Broca war er der Ansicht, dass Sprachstörungen mit linksseitigen Schädigungen einhergehen, aber er hatte inzwischen eine Theorie über die neurologische Repräsentanz von Sprache entwickelt, die vollkommen von derjenigen Brocas abwich. Einmal nahmen sie zusammen an einem Symposium teil, in Norwich 1868, aber es gibt keine Zeugnisse darüber, ob die beiden wichtigsten Neurologen jener Zeit überhaupt miteinander debattiert haben oder einander persönlich begegnet sind. 23 Broca erschien mit einem Diagramm und einem Gipsabguss des Gehirns, um zu demonstrieren, wo genau sich die Schädigung befand, die Aphasie
»Schwein, Rohling, dummer
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