Geister-Dämmerung
noch weniger begreifen. Hinter der Wand liegt der Anfang.«
»Wie meinst du das?«
»Der Anfang der Welt, der Beginn des Seins, denn du musst wissen, dass nichts verloren geht. Zeit ist Energie, und es existiert ein Gesetz von der Erhaltung der Energie. So geht auch die Energie-Zeit nicht verloren, und Vergangenes kann sichtbar werden.«
Ich hatte seinen Worten immer zugehört, okay, je mehr er jedoch erklärte, um so gespannter wurde ich und spürte auf meinem Rücken die kalte Haut. Was mir da berichtet wurde, rüttelte an den Grundfesten der Physik. Nein, das konnte man nicht mehr als Physik bezeichnen, es war die Metaphysik.
»Und das stimmt?« fragte ich zweifelnd und mit kaum zu verstehender Stimme.
»Habe ich dir schon jemals die Unwahrheit gesagt, John Sinclair?«
»Nein, das nicht.«
»Bitte.«
»Trotzdem, ich… ich… also verflixt, es ist einfach zu schwer für mich, es zu begreifen. Da komme ich nicht mit. Vielleicht fehlt mir auch etwas. Die Menschen stehen ja unter den Mächtigen des Alls oder den Geistern. Ihr Gehirn schafft es nicht, die Tatsachen aufzunehmen. Da bilde ich keine Ausnahme.«
»Deshalb habe ich es dir erklärt.«
»Das sehe ich auch ein. Und die Beweise?«
Der Seher blieb ruhig. Er holte bei seiner Antwort weit aus. »Ich sehe und erkenne viel, John Sinclair. Das meiste bleibt sowohl den Menschen als auch den Dämonen verborgen. Ich habe auch erkannt, dass die Geisterdämmerung begonnen hat, und ich wusste ebenfalls, dass du in diesen Fall hineingleiten würdest. Diese Vernichtung ist von einer großen Bedeutung. Sie zeigt, dass der Spuk die Kraft fast aller Großen Alten in sich vereint und es noch zu gewaltigen Kämpfen kommen wird. Es ist ihm gelungen, das Urfeuer für sich zu gewinnen. Feuer kann zerstören, aber auch trennen. Und dieses Feuer trennt die Dimension der Zeit, die hinter ihm liegt, von einer anderen, in der du dich befindest. Diese Dimension wird bald zerstört sein. Bevor das geschieht, möchte ich dir die Gelegenheit geben, noch einen Blick in die Zeit hineinzuwerfen, wo die Ereignisse einer fernen Vergangenheit gespeichert sind. Ich versuche mit meiner Kraft das Feuer aufzureißen, damit du sehen kannst, John…«
Damit du sehen kannst, hatte er gesagt…
Ich erstarrte vor Ehrfurcht. Wohl noch niemand vor mir - Geistwesen einmal ausgenommen - hatte einen Blick in das Zeit-Energie-Kontinuum werfen können. War ich der erste?
»Was werde ich zu sehen bekommen?« hauchte ich.
»Die Entstehung des Unheimlichen. Ich weiß nicht, was alles dahinter liegt, aber dein Wissensdurst kann gestillt werden und auch meiner, wie ich gern zugeben will.«
»Dann weißt du auch nicht alles?«
»Nein - wer ist schon allwissend? Es gibt eine Kraft, die ist allwissend. Aber die steht so hoch über mir, dass ich es nicht wage, an sie heranzutreten, und mir vorkomme wie ein Sandkorn in der größten Wüste, die es gibt. Auch für mich gibt es Grenzen, an die ich hin und wieder stoße, auch wenn es dir nicht so vorkommt.«
»Wenn du den Vorhang aus Feuer aufreißen willst und selbst nicht weißt, was dahinter liegt, könnte ich auch mit starken Gefahren rechnen, die auf uns zukommen werden.«
»Ja, das streite ich nicht ab.«
»Du weißt nicht, welche?«
»Nein, aber ich hoffe, dass sie sich nicht aus diesem Raum-Zeit-Kontinuum lösen und uns als stumme Beobachter zulassen. Viel Zeit, wenn ich dir das so sagen darf, haben wir nicht mehr. Die Flammen wandern weiter. Sie werden die gesamte Dimension vernichten, als hätte es sie nie zuvor gegeben.«
»Aber wird dieses Pandämonium nicht auch mit in den Zeit-Energie-Komplex eingehen?«
»Das stimmt. Nur wird es dann nicht mehr so sein, wie du es kennst. Es wird zu einem Schatten werden. Es kann klein und dabei auch unendlich groß sein, was spielt das für eine Rolle in einer Welt, die keine Grenzen kennt? Das Wort grenzenlos trifft genau auf sie zu, und ich hoffe, dass es dir irgendwann einmal klar wird.«
Diesmal hatte ich keine Fragen mehr und konnte nur noch staunend nicken.
»Bist du bereit?« hörte ich die Stimme des Sehers.
»Das bin ich.«
»Dann stelle dich so hin, dass du auf die Flammen schauen kannst. Ich habe genug Kraft gesammelt, um die Wand einreißen zu können.«
Ich nickte nur und bewegte mich um die Figur herum. Obwohl ich auf sicherem Boden stand, hatte ich das Gefühl, durch die Luft zu gehen oder zu schweben. Was mir da gesagt worden war, darüber konnte ich zwar nachdenken, es aber nicht
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