Geister-Dämmerung
Dimensionen und des völlig Neuen, das mir präsentiert wurde.
Ich hörte den Seher hinter mir sprechen. »Hast du den ersten Blick verkraftet, John…?«
»Kaum…«
»Es war nur ein flüchtiger Eindruck. Ich hoffe, dir in dem Riss der Flammenwand noch lange zahlreiche Bilder bieten zu können. Du wirst überrascht von dem sein, was gleich geschehen wird. Aber es ist auch eine Bestätigung für Dinge, die auch in dein Leben eingreifen. Du wirst erkennen können, wie uralt das Böse ist.«
»Ich weiß es!« hauchte ich zurück.
Da der Seher schwieg, konnte ich mich wieder auf die Dinge vor mir konzentrieren.
Mein Beschützer hatte von dem Bösen gesprochen, das damals schon existiert hatte. Und das bekam ich zu sehen.
Es stieg aus den Tiefen empor, in die ich keinen Einblick mehr hatte. Es kam gekrochen und bediente sich dabei einer gespenstischen Lautlosigkeit.
Noch einmal hörte ich den Seher. »Was man dir zeigt, Geisterjäger, ist die gesamte Welt, nur siehst du sie verkleinert, perspektivisch verzerrt, wie auf einem Globus…«
Ich musste lächeln, als er das letzte Wort erwähnte. Gerade durch einen magischen Globus war ich in diese Dimension hineingelangt, um die Geisterdämmerung mitzuerleben.
Doch ich wollte mich nicht ablenken lassen und schaute weiterhin den Vorgängen zu. Es ist paradox. Man kann keine Lautlosigkeit spüren. Mir jedoch kam es so vor. Gleichzeitig wehte mir von der magischen »Bühne« etwas entgegen. Es war ein stahlkalter Hauch, nicht mal ein Windzug, dafür ein Gefühl oder eine Ausströmung, die ich als furchtbar bezeichnen konnte.
Sie berührte mich und mein Kreuz! Das reagierte plötzlich. Ich merkte, dass sich vor meiner Brust ein silberner Schutz aus Strahlen aufbaute. Auch das Kruzifix hatte das Urböse gespürt und verhielt sich dementsprechend.
Der silberne, aus Magie bestehende Leuchtschirm war zum Glück nicht so groß, dass er meine Sicht behindert hätte. So gelang es mir, über ihn hinwegzuschauen und weiterhin das Geschehen auf der Leinwand zu beobachten.
Vorhin hatte ich das Gefühl gehabt, das Böse würde aus einer nicht mehr fassbaren Tiefe steigen. Und dieses Gefühl verdichtete sich zusehends, bis ich tatsächlich das Abbild des absoluten Schreckens sah, das wie ein Manifest plötzlich über den gezackten Gipfeln der Berge stehen blieb.
Es war ein Gesicht. Und es gehörte dem Urfeind des Guten. Luzifer!
Da stand das Grauen!
Ich zitterte. Es war nicht meine erste Begegnung mit diesem furchtbaren Wesen, aber es gab keinen Dämonen, der mir so eine große Angst einflößte. Hätte ich nicht mein Kreuz als Schutzmantel besessen, ich wäre vor Furcht und Erbeben wahrscheinlich zusammengebrochen und gestorben.
So aber umklammerte ich den von dem Propheten Hesekiel geschaffenen Talisman und hielt den Blick dieses unheimlichen Gesichts sogar stand.
Luzifer war eigentlich nicht mehr zu beschreiben. Er gehörte zum Leben, zur Welt und verkörperte das Schlechte. Einst ein Engel gewesen, hatte er gottgleich werden wollen und war fürchterlich bestraft worden, obwohl er die Schönheit des Engels, wie manche meinten, auch weiterhin behalten hatte.
Ich dachte da gegenteilig.
Er stand da, er schaute mich an. Sein Gesicht schimmerte bläulich. Man konnte es tatsächlich als ebenmäßig, schön und auch sogar engelhaft ansehen, aber es strahlte eine Kälte und Menschenverachtung aus, wie sie nicht zu beschreiben war.
Diese Gesichtszüge in dem kalten Stahlblau bewiesen, dass sich Luzifer noch immer für den Allergrößten hielt, obwohl er beim ersten großen Kampf schon eine so schlimme Niederlage hatte einstecken müssen. Und auch diejenigen, die auf seiner Seite standen, waren in die ewige Verdammnis geschleudert worden, um weiterhin an seiner Seite zu stehen. Da kämpften Heerscharen gefallener Engel. Einige von ihnen kannte ich und auch eine mächtige Anführerin, die Luzifer in punkto Bosheit nicht nachstand.
Lilith, die Große Mutter!
Die Wandelbare, die als schöne Frau ebenso erscheinen konnte wie als turmhohe Schleimqualle. Sie hatte man als erste Hure des Himmels bezeichnet, und sie passte zu Luzifer wie die Faust aufs Auge. Luzifers Bild stand vor meinen Augen, als wollte es nie mehr verschwinden. Höchstwahrscheinlich wollte er dem Betrachter dokumentieren, dass er der Herrscher der Welt war und über seine Niederlage höchstens lachen konnte.
Ich bekam sehr viel Zeit, das Gesicht zu betrachten. Obwohl es sich nicht bewegte, auch nicht die
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