Geister-Dämmerung
Blick, um aus der Nähe in sein Gesicht zu schauen.
Eisglatt war es. Keine Falten, keine Furchen, dabei sah es so echt aus, als hätte sich jemand zum Schlafen hingelegt, um im nächsten Augenblick zu erwachen. Konnte der Seher trotzdem sprechen? War die Steinfigur vielleicht von einem Leben erfüllt, von dem ich bisher noch nichts wusste? Vielleicht hatte sich der Seher diesen Stein nur als Schutz umgelegt. Man konnte nie wissen, welche Gefahren noch lauerten.
Auf keine dieser Fragen konnte ich mir die Antwort selbst geben. Und der Seher wollte nicht.
Was sollte ich tun? Wieder vom Felsen hinabklettern und dem Untergang der Welt zusehen? Das wäre nicht vernünftig gewesen. Zwar schätzte ich meine Chancen als gering ein, aber ich wollte dennoch nicht aufgeben. Solange ich mein geweihtes Kreuz bei mir trug und es auch aktivieren konnte, war nicht alles verloren.
Es hatte die Kletterei, ohne einen Kratzer zu bekommen, überstanden. Ich wollte wieder einmal die Kette über meinen Kopf streifen und hielt sie bereits fest, als ich die Stimme des Sehers hörte.
»Lass es sein, Geisterjäger John Sinclair, Sohn des Lichts! Noch ist es nicht soweit.«
Meine Hände zuckten zurück, und ich starrte in das Gesicht der Steinfigur. Sie hatte tatsächlich geredet!
Irgendwie war ich erleichtert, das merkte man mir an, und man hörte es auch, denn ich stieß scharf den Atem aus. Die linke Hand ballte ich zur Faust, als ich dem Seher zuflüsterte: »Du bist ja doch da.«
»Natürlich bin ich es.«
»Aber aus Stein…«
Da lachte er leise und fragte: »Welche Rolle spielt es für dich, aus welch einem Material oder einer Form derjenige ist, der dir auf deinem Weg helfen will. Ihr Menschen sollt nicht so kleingläubig sein. Es ist nicht nur immer derjenige gut, der so aussieht wie ihr. Auch andere Lebewesen, die ihr als schrecklich empfindet, können wunderbar sein, denn nicht umsonst sind im gesamten All so viele Lebensformen erschaffen worden, und jede Form von Leben hat das Recht einer Existenz. Das solltet ihr Menschen, die ihr euch manchmal für die höchsten der Geschöpfe haltet, allmählich einsehen. Wenn ihr das nicht tut, stellt ihr euch auf die gleiche Stufe mit den Schwarzblütlern. Was du hier erlebst, John Sinclair, ist eine furchtbare Rache. Hier wird etwas zerstört, das es schon seit uralten Zeiten gibt. Das Pandämonium war eine Fluchtburg für das Böse. Aber die Zeiten haben sich geändert, man braucht es nicht mehr. Machtverhältnisse wurden verschoben. Es gibt die Großen Alten nicht mehr, nur noch der Spuk existiert, und er braucht das Pandämonium nicht. Er will es nicht mehr haben, denn er hat sein eigenes Reich erschaffen.« Die Worte drangen ruhig und sicher aus dem offenen Mund der Figur.
»Will er das Pandämonium zerstören?« fragte ich.
»Ja, seine geballte Macht steht dahinter. Du weißt, dass er aufräumen will. Er braucht Platz, um das Reich auszudehnen, denn er hat es noch immer nicht aufgegeben, gegen die Hölle anzutreten. Für ihn war dieses Reich ein Hindernis, auch wenn es schon so alt ist wie das All. Es liegt jenseits des Sichtbaren, ist mit einer magischen Kraft erfüllt, und viele Monstren, die hier ihre Heimat gefunden hatten, bemerkten rechtzeitig genug, dass etwas in Gang gesetzt worden war. Manche haben zu fliehen versucht. Sie schafften es auch, andere Welten zu erreichen. Deine, zum Beispiel, aber auch dort wurden sie erwischt. Niemand kann der Zerstörungswut des Spuks entgehen. Du hast gesehen, wie die Monstren zu Schatten wurden, wie das Feuer sie einfach verschluckte. Die für dich schrecklichsten Geschöpfe sind ein Nichts gegen die mächtigen Dämonen aus anderen Welten, und dieses Feuer saugt sie alle auf. Es ist die große Trennwand zwischen den Welten. Es wandert immer weiter vor und zerstört mehr von der Schwärze.«
»Dann ist es ein magisches Feuer«, präzisierte ich.
»Ja, aber nicht nur das. Es ist das Feuer an sich. Das Urfeuer, das schon entflammt war, als die Welt erschaffen wurde. Es hat Segen und Fluch gebracht. Jetzt bringt es wieder den Fluch.«
»Und die Blitze, die in die Flammen hineinjagen?« fragte ich weiter.
»Es ist das magische Wasser. Von mir werden sie gesteuert. Ich versuche, die Wand wenigstens etwas zu stoppen. Es sind meine Gedanken, die hineinjagen und immer stärker werden, denn hinter der Wand liegt sehr viel Wahrheit.«
»Kannst du mir das erklären?«
»Es ist auch schwer für mich, aber du als Mensch wirst es vielleicht
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