Geister der Vergangenheit
zahlreiche Scherben zerbrach, was ihm egal war. »Verstehst du das, Clive?«
»Klar doch!«
»Nein!« Atvill lächelte ein wenig traurig. »Du verstehst es nicht. Es versteht keiner, der es nicht selbst erlebt hat.«
»Kann ich dir irgendwie helfen?«
»Ja, indem du dich einfach nur raushältst. Alles andere erledige ich schon.«
»Und wann hören oder sehen wir uns wieder?«
Der Maler stand auf. Er strich seine überlange Jacke glatt. »Ich weiß es noch nicht – aber ich hoffe, nicht erst im Jenseits.«
»Du bist verrückt.«
»Weiß man’s?« Bruce Atvill fing an zu lachen. Er machte auf dem Absatz kehrt und eilte auf die Tür zu. Dass ihm der Galerist kopfschüttelnd nachschaute, sah er nicht. Helfen konnte ihm niemand. Da musste er schon allein seinen Weg gehen.
Das Freie hatte er schnell erreicht. Sein knallgelber Jaguar stand auf dem Hof hinter dem Haus. Mit langen Schritten näherte er sich dem Fahrzeug. Über das Funksignal öffnete er die Türen und stieg ein.
Für die Dauer einiger Sekunden blieb er starr hinter dem Steuer sitzen. Es ärgerte ihn, dass auf seiner Stirn ein dünner Schweißfilm lag. Das Gespräch hatte ihn mehr mitgenommen als erwartet. Als er daran dachte, in seinem Haus allein zu sein, gefiel ihm das überhaupt nicht. Er brauchte Gesellschaft. Er brauchte jetzt auch ein Prise Stoff, denn er merkte, dass er dicht davor stand, in einem schon einer Depression nahe kommenden Zustand zu verfallen.
Den Stoff hatte er nicht im Wagen. Es war einfach zu gefährlich. Man kam zu leicht in eine Kontrolle. Er würde in sein Spiegelzimmer gehen, sich etwas reinziehen und dann eine seiner Freundinnen anrufen. Da konnte er wählen. Es waren Künstler-Groupies, die sich auch an seinem Alter nicht störten.
Von dem Gedanken daran beflügelt, startete er seinen Jaguar...
Das Haus des Malers stand auf einer kleinen Anhöhe. Es war kein Berg, nicht mal ein Hügel, aber Bruce Atvill besaß von dort einen perfekten Blick über die Landschaft, und er schaute auch nach Hampstead und gegen die Fassaden der kleinen Fachwerkhäuser, die von seinem Haus aus im Sommer nicht zu sehen waren, weil ihm dann das dichte Laub der Bäume die Sicht nahm.
Durch die Altstadt ging er immer gern. Es gab dort noch die engen Gassen mit den georgianischen Häusern. In dieser Umgebung hatten sich die Künstler schon immer wohl gefühlt und die Häuser entsprechend besetzt.
Bruce Atvill war es dort zu eng. Er liebte den weiten Blick, und er hatte das Haus auf der flachen Erhebung nach seinen Vorstellungen bauen lassen.
Die Menschen in der Nähe sprachen von einem fahlen Betonklotz. Das traf auch zu. Es sah aus wie ein kleiner Bunker, wobei man die Fenster auch als Schießscharten hätte ansehen können, denn sie fielen im Mauerwerk kaum auf.
Der Künstler hatte das Haus bewusst so bauen lassen. Es sollte einen Kontrast zu der übrigen Umgebung bilden und zugleich auch einen Gegensatz zu Atvill’s Werken, die von den Maßen her sehr groß und in grellen Farben gemalt waren.
Er war ein Mensch der Kontraste. Schon immer hatte er sie geliebt, und das war in den Jahren nicht verloren gegangen. Außerdem liebte das Publikum seine Werke, und auch das neue Bild würde wieder einen hohen Preis erzielen.
Finanziell ging es ihm gut. Trotzdem wollte er nicht von einem allgemeinen Wohlsein sprechen. Sein letztes Werk hatte er in einem wahren Rausch fertig gestellt. Das Ergebnis war zwar fantastisch, aber er hatte es tun müssen, um etwas Bestimmtes zu kompensieren.
Mich hat ein Fluch getroffen!
So hatte er sich selbst beurteilt. Ja, das muss ein Fluch gewesen sein, denn er hatte immer wieder eine Gestalt gesehen, die plötzlich erschienen war.
Der Ritter!
Ein Ritter in einer Rüstung. Er war aus dem Nichts gekommen. Er hatte plötzlich neben ihm gestanden. Mal mit gezogenem Schwert, mal ohne, aber er hatte sich die Gestalt nicht eingebildet, und am Morgen hatte er sogar eine Nachricht gefunden. Er sollte sich am Abend auf dem Richtplatz einfinden.
Nach dieser Entdeckung hatte sich die Furcht in ihm verstärkt. Er empfand sie als einen bösartigen Stachel, und deshalb war er auch zu seinem Galeristen gefahren, um das Bild loszuwerden. Es war so etwas wie ein gemaltes Testament.
Jetzt sah er das Haus vor sich. Er dachte wieder an den Ritter und überlegte, wie er dieser Einladung begegnen sollte. Hingehen, sie ignorieren?
Er hatte keine Ahnung. Es ging alles so an ihm vorbei. Er wollte nicht, aber er spürte auch die
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