Geister der Vergangenheit
es ist vorhanden, mein Freund.«
»Du meinst den Ritter?«
»Genau ihn. Er ist da. Wenn auch abstrahiert, trotzdem kann man ihn erkennen. Jetzt weiß ich auch, warum du dein Bild ganz schlicht Vergangenheit genannt hast.«
»Ja, es gibt keine Ritter mehr.«
»Auch für dich?«
Der Maler winkte ab. »Nein, für mich nicht. Vielleicht bin ich der einzige Mensch, der über sie Bescheid weiß. Oder über ihn, das kommt ganz darauf an.«
Der Galerist setzte sich auf einen Hocker. »Du hast ihn gesehen, Bruce? Wieder mal?«
»Ja, ich glaube.«
»Und wie?«
»Er war einfach da«, sagte Atvill. »Er ist an meinem Fenster vorbeigeritten. Ich habe ihn nicht angesprochen, sondern wollte ihn verfolgen. Ich lief in die Nacht hinein – und er war weg.«
»Dann sein froh.«
Der Maler leerte sein Glas. »Nein, das bin ich nicht. Das kann ich auch nicht sein. Er kommt wieder.«
»Ach...«
»Ja! Ich fand einen Zettel mit der Botschaft: Heute Abend am Richtplatz.«
Clive Boswell gab keine Antwort. Er wusste nicht, was richtig war und was nicht.
»Hast du nicht gehört?«
»Ja, schon.«
»Und was sagst du?«
»Nichts«, antwortete der Inhaber der Galerie. »Oder ich kann dich fragen, was das soll? Was hat er mit dem Richtplatz gemeint? Vorausgesetzt, der Ritter hat diese Botschaft hinterlassen.«
»Dass ich dort hinkommen soll.«
»Und das nimmst du ernst?«
»Ja, verdammt!«, entgegnete Atvill. »Oder nein. Ich weiß nicht, wie ich das alles einstufen soll. Es ist ja nicht so, dass mir dieser Typ das erste Mal über den Weg gelaufen wäre. Ich habe ihn schon öfter gesehen und glaube nicht, dass ich ihn mir eingebildet oder von ihm geträumt hatte. Der war da. Der war, verdammt noch mal, da.«
»Ja, das hast du erzählt. Immer nur für einen Moment.«
»So ist es.«
»Genau. Er tauchte auf und verschwand.«
Bruce Atvill schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, was er von mir will. Ich habe keine Ahnung. Ich kenne ihn nicht, aber er muss mich kennen. Und ich weiß nicht, woher.«
»Das könnte sich bei eurem Treffen auflösen.«
»Ja, daran denke ich auch. Nur ist mir der Ort suspekt. Es ist der Richtplatz.«
»Ja, das sagtest du. Kennst du ihn?«
Atvill hob die Schultern. »Nicht direkt. Ich habe mal von ihm gehört. Es ist ein Platz außerhalb des Ortes, wo unter der Regentschaft von Heinrich dem Achten Menschen hingerichtet wurden. Geköpft, gevierteilt, verbrannt und so weiter...«
»Ja, du hast recht. Später hat man dann ein Kloster gebaut. Quasi als Wiedergutmachung. Aber der Bau steht heute fast nicht mehr. Er ist ziemlich verfallen. Nur einige der Mauern stehen noch. Vor Jahren hat ein Kollege von dir ein Bild von diesem Kloster gemalt. Ich habe es sogar verkaufen können. Mehr weiß ich auch nicht.«
»Und ich frage mich, was dieses Kloster mit dem Ritter zu tun hat, der in meiner Nähe auftauchte?«
»Nichts, Bruce, aber mit dem Richtplatz.«
Der Maler sagte nichts. Er schob seinen Hut zurück und fing an zu grübeln.
»Und was willst du jetzt machen?«, fragte Boswell ihn.
»Ich weiß es nicht.«
»Fahr hin!«
»Warum?«, wollte der Maler wissen.
»So nur kannst du dein Trauma loswerden.«
»Irrtum, Clive, es ist kein Trauma. Das muss ich dir sagen. Es ist die Realität. Ich habe mir den verdammten Ritter nicht eingebildet, obwohl du das schwer nachvollziehen kannst. Du brauchst mir auch nichts vorzuspielen, ich weiß schon, welchen Weg ich gehen muss. Es gab ihn, Clive, und es gibt ihn noch.«
»Ja, aber...«, setzte Boswell zu einem Einwand an.
»Und ich weiß auch, dass er kein normaler Mensch ist. Wenn ich ihn sah, dann tauchte er urplötzlich auf und war ebenso schnell wieder verschwunden.
»Wohin?«
»Er löste sich auf.«
Der Galerist sagte nichts. Er presste nur die Lippen fest zusammen, damit ihm kein falsches Wort herausrutschte. Er kannte Bruce Atvill und dessen cholerischen Anfälle. Aus diesem Grund kam er auch wieder auf das neue Werk zu sprechen.
»Ich kann dir schwören, Bruce, dass es mich nur einen Anruf kostet, und das Bild ist verkauft.«
»Sehr gut.«
»Sogar zu einem hohen Preis.«
»Kann ich mir alles gut vorstellen. Aber wenn ich ehrlich sein soll, interessiert mich das im Moment nicht. Ich denke an den verdammten Ritter. Das Problem muss ich lösen. Das Bild da habe ich in einem Anfall von Wahnsinn geschaffen. Aber so kann ich nicht leben. Der Druck ist einfach zu stark.« Er breitete die Arme aus und fegt das leere Glas vom Beistelltisch, das in
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