Geisterblumen
so diskrete Außenbeleuchtung, dass sich die Decke aus Sternen bis in die Unendlichkeit zu erstrecken schien und die Dunkelheit die Fenster in einen Spiegel verwandelte.
Ich betrachtete erst mein eigenes Spiegelbild – ich trug meine neue graue Strickjacke mit dem Leopardenmuster, hautenge Jeans und silberne Schuhe mit Keilabsatz – und dann die Leute hinter mir. Es sah aus, als wäre ein Gruppenporträt zum Leben erwacht. Auf einer Seite stand Coralee und besprach sich mit Huck und Grant, Jordan unterhielt sich mit Scar, und Bridgette hockte auf der Armlehne des Sessels, in dem Stuart saß. Daneben stand Bain. Mich faszinierten vor allem die Details. Bain versuchte, Coralees Aufmerksamkeit zu erregen. Jordan wich Stuarts Blicken absichtlich aus. Bridgette zuckte zusammen, wenn Stuarts Arm ihr Hosenbein berührte. Sie wirkte noch gereizter als sonst.
Ich versuchte mir vorzustellen, wie Liza und Aurora die Party damals empfunden haben mussten. Am frühen Nachmittag hatte ich beschlossen, alle Kleidungsstücke von Aurora auszusortieren und Platz für die neuen zu schaffen, die ich gerade bekommen hatte. Dabei hatte ich einen doppelten Boden in ihrer Sockenschublade entdeckt. Ich hatte ihn herausgehoben und einen Liebesroman, in dem alle Sexszenen angestrichen waren, und ein Foto von Liza und Aurora gefunden.
Ich konnte mir denken, weshalb Aurora das Buch versteckt hatte, war mir aber weniger
sicher, weshalb sie das Bild dazugelegt hatte. Es zeigte die beiden Mädchen in einem Einkaufszentrum, sie trugen Weihnachtsmützen und Halsketten. Sie hielten die Anhänger, die zwei Hälften eines Herzens darstellten, in die Kamera. Auf Auroras Hälfte waren der Buchstabe B geprägt, auf Lizas Hälfte die Buchstaben FF .
Beste Freundinnen für immer.
Zwei von Lizas Fingern waren mit einem elastischen Band zusammengeklebt, als hätte sie sie gebrochen.
Aurora lächelte unbeschwerter und glücklicher als auf dem Foto im Jahrbuch, das Bridgette mir gezeigt hatte. Liza lächelte auch, doch statt in die Kamera zu schauen, sah sie Ro an. Ich las etwas in ihren Augen, das ich auf keinem anderen Foto gesehen hatte und das ich auch nicht richtig beschreiben konnte. Es hatte mich aber an den Blick von Eltern erinnert, die ihre Kinder betrachten, zufrieden und beschützend zugleich.
Mit einem Schauer wurde mir in diesem Moment klar, dass mich das Mädchen, das ich in der Umkleidekabine im Spiegel gesehen hatte, genauso angeschaut hatte.
Aber in der Umkleidekabine war kein Mädchen
, mahnte ich mich. Unmöglich. Und selbst wenn, war es nicht Liza gewesen. Denn Liza war tot.
Mein Blick wanderte wieder zu den Leuten, die sich im Fenster spiegelten. Bridgette runzelte die Stirn und machte eine kreisende Bewegung mit dem Finger, als wollte sie mir sagen, dass ich die Runde machen solle. Ich zuckte zusammen und begriff, dass ich mich überhaupt nicht wie Aurora verhielt. Ich drehte mich um und suchte nach der nächstbesten Person, mit der ich mich unterhalten konnte, doch da trat Coralee in die Mitte des Raums und klatschte in die Hände, bis Ruhe einkehrte.
»Roscoe Kims Flug aus Los Angeles hat Verspätung, er wird es nicht schaffen.« Ihre Stimme klang etwas vorwurfsvoll, als hätte er es nur getan, um sie zu ärgern. »Wir werden jetzt einfach anfangen. Madam Cruz hat den ganzen Nachmittag meditiert und ist bereit, die Geister willkommen zu heißen. Im Gegensatz zu anderen Medien stört es sie nicht, wenn Zweifler anwesend sind, aber sie bittet euch, eure Zweifel erst nach der Sitzung zu äußern. Ist das akzeptabel?«
Alle nickten. In meinem Magen spürte ich einen winzigen Knoten der Angst. Ich fragte mich nicht zum ersten Mal, in was ich da hineingeraten war.
»Super. Wir haben zwei Kameras in den Ecken aufgestellt, die alles filmen. Verhaltet euch ganz natürlich, keine Show oder so. Auf dem Weg nach draußen werdet ihr eine Verzichtserklärung unterschreiben. Das wird die geilste Séance aller Zeiten. Wir haben im Musikzimmer alles vorbereitet, wenn ihr also bitte dort hineingehen würdet …«
Sie deutete auf einen Gang, der vom Wohnbereich abzweigte, und die Gruppe, die plötzlich sehr still wirkte, erhob sich, und einer nach dem anderen ging hinüber.
»Kommst du nicht mit?«, fragte ich.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich war damals nicht dabei, und wir möchten die Geister nicht durch Veränderungen beeinflussen. Aber keine Sorge, ich werde mir alles hier draußen auf dem Monitor ansehen.«
Bei dem Musikzimmer handelte
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