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Geisterblumen

Geisterblumen

Titel: Geisterblumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michele Jaffe
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raste mein Herz.
    Wir bogen um eine Ecke und fanden uns überraschend auf der Hügelkuppe wieder. Gerade noch waren wir zwischen roten Felsen hindurchgegangen, die man behauen hatte, um den Weg zu verbreitern, dann plötzlich standen wir an der Kante der Felsspitze. Um uns herum ragten gezackte, ockerfarbene Felsen auf, doch der Three-Lovers-Point selbst war glatt und flach und erstreckte sich wie ein Plateau über dem darunterliegenden tiefen Canyon. Hier oben war es windiger. Die kühle, stille Luft schien aus den gefleckten, lavendelblauen Schatten des Canyons emporzusteigen, in den um diese Tageszeit noch kein Sonnenlicht fiel.
    Es sah aus wie auf den Polizeifotos, nur war der Ort verlassen. Und dort, wo zuvor rote Felsbrocken Lizas Absturz nachgezeichnet hatten – ich erinnerte mich an Detective Ainslies lakonischen Kommentar: »Sie scheint hier gegen die Wand geprallt zu sein … dann ist sie das übrige Stück hinuntergerollt« –, blühten jetzt Hunderte fleischiger, weißer Blumen. Sie ergossen sich wie ein schäumender Wasserfall von dort, wo wir standen, bis hinunter auf den Grund des Canyons. Es war ein außergwöhnlicher Anblick, wie aus einer anderen Welt.
    »Man nennt sie Geisterblumen«, sagte Coralee, als könnte sie meine Gedanken lesen. Ihre Stimme klang dünn und feierlich. »Niemand weiß, weshalb sie dort wachsen, aber es heißt, sie würden Orte markieren, an denen die Seelen der Toten keine Ruhe finden.« Jetzt schaute sie nicht in die Kamera, sondern zu mir. »Deshalb glaube ich auch, dass sie kommt. Sie ist ruhelos. Sie hat gewartet.«

31. Kapitel
    E s war, als legte sich eine eiskalte Hand um mein Rückgrat. Ich räusperte mich. »Worauf gewartet?«
    Statt zu antworten fragte Coralee: »Hast du dein Handy eingeschaltet?«
    Das schon, doch Huck hatte das Mikrophon für das Handy vergessen und rannte nun zurück, während Coralee, Grant und ich in den Canyon hinunterschauten. Ich war mir nicht sicher, ob es an dem Ort oder unserem Plan lag, doch die Stille wirkte geradezu greifbar. Greifbar und mächtig.
    »Bist du hier, Liza?«, fragte Coralee so unvermittelt, dass ich zusammenzuckte. »Kannst du mich hören?« Sie sprach wie eine Mutter, die nach ihrem verirrten Kind sucht. »Ich habe Aurora mitgebracht. Ro-ro.«
    Stille. Tiefe, undurchdringliche Stille war die Antwort.
    »Liza, gib uns bitte ein Zeichen, wenn du hier draußen bist.« Zu meiner Überraschung klang ihre Stimme innig und aufrichtig. Hatte Bridgette nicht erzählt, die beiden hätten einander gehasst? »Bitte, Liza. Wir möchten dir helfen. Wir möchten dir Frieden schenken.«
    Stille.
    »Schau auf dein Handy«, fauchte Coralee.
    »Hab ich gerade getan, es hat nicht geklingelt …«, setzte ich an, doch sie unterbrach mich.
    »Schau hin.«
    Nichts.
    »Versuch du es. Versuch, sie herbeizurufen.«
    »Liza, ich bin es, Aurora. Wir haben gestern Nacht miteinander telefoniert.«
    Ich hörte, wie Grant hinter mir ein Lachen unterdrückte. Zugegeben, es hörte sich lächerlich an. Doch da Coralee todernst blieb, sprach ich weiter. »Ich hatte gehofft, wir könnten unser Gespräch fortsetzen. Ich möchte dir so viele Fragen stellen. Ich möchte so viel wissen. Wenn du irgendwie Kontakt zu mir aufnehmen kannst, du hast ja meine Nummer oder …«
    Oder was?
, dachte ich.
Oder such mich einfach heim?
Etwas daran kam mir komisch vor, und auch ich musste ein Kichern unterdrücken.
    Leider nicht schnell genug. »Betrachtest du das etwa alles nur als Witz?«, fragte Coralee plötzlich. »Deine beste Freundin ist tot, und für dich ist das alles nur zum Lachen?«
    »Coralee, wir stehen auf einem Felsvorsprung, reden mit der Luft und warten darauf, dass
ein
Geist
erscheint. Du musst zugeben, es ist komisch.«
    »Ist es nicht.«
    »Aber hier ist niemand. Es wird auch keiner kommen. Es gibt keine Geister«, sagte ich sanft.
    Sie ging auf mich los. »Und ob! Und ob! Sie wird herkommen. Sie wird kommen. Sie kommt wegen dir.« Ihre Augen glänzten beinahe fiebrig.
    »Weshalb ist es dir so wichtig? Ich dachte, ihr wärt nicht einmal Freundinnen gewesen.«
    Die Frage, die mir selbst banal erschien, rüttelte sie auf. Es war, als würde sie kurz eine Maske abnehmen oder wieder aufsetzen. Der fiebrige, ernste Blick verschwand aus ihrem Gesicht und wich dem sorgfältig einstudierten Ausdruck, den sie für die Kamera bereithielt. »Es geht mir um die Show«, sagte sie mit großen Augen. »Und natürlich um Liza. Ich möchte herausfinden, was mit

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