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Geisterfahrer

Geisterfahrer

Titel: Geisterfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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heiliger Pfeffer. Kuhle und Sabrina. Wahnsinn. Wie geht das?
Sie wohnen in Steglitz, in einer Nebenstraße mit gutbürgerlichen, vier- oder fünfstöckigen Altbauten, hochwertigeren Mittelklassewagen am Bordstein, Flieder, Forsythien, Blumenbeeten und kleinen Buchsbäumen in den schmalen Vorgärten. An den niedrigen Staketenzäunen sind Fahrräder festgemacht, ein paar Kinder rennen an mir vorbei, eine Frau schiebt einen Kinderwagen und spricht dabei lächelnd in ihr Mobiltelefon. »Schöne Gegend, aber keine Parkplätze«, hat der Taxifahrer gesagt, ein sehr blasser junger Mann, der trotz der Affenhitze einen Mantel trug und den Kragen seines roten Rollkragenpullis über den seines Mantels geschlagen hatte. Wie eine merkwürdige Uniform aus einem ScienceFiction-Film. Ich habe nur genickt und in die Gegend gestarrt.
Ich stehe vor der sehr hohen Haustür, kneife die Augen zusammen und drücke dann die Klingeltaste. Sekunden später ertönt der Summer. Kuhles verzerrte Stimme sagt kurz darauf »Zweiter Stock«, ich drücke die Tür auf und gehe hinein. Die Wände sind mit Marmor verziert, an der Decke ist Stuck zu sehen, und auf dem Fußboden liegt rote Auslegeware. Die mächtige, hölzerne, weißlackierte Tür in der zweiten Etage steht offen, und als ich gerade den Absatz betrete, ein wenig außer Atem, kommt Kuhle heraus.
Er trägt die hellblonden Stoppelhaare etwas länger als früher, und er ist immer noch dick, aber nicht mehr ganz so füllig wie damals, vielleicht zwanzig, dreißig Kilo weniger. Sein Gesicht und seine nackten, mächtigen Unterarme sind gebräunt, er hat eine runde Brille auf der Nase, hinter der mich seine Augen freundlich anblitzen, und trägt ein weißes Shirt und Jeans, jedoch ohne Zusatzstoff an der Seitennaht.
»Hallo, Tim«, wiederholt er, macht zwei Schritte auf mich zu, umarmt mich und sagt leise: »Du Dummkopf«, während wir eine Weile so dastehen. Dummkopf . Ich habe diese Formulierung seit dreißig Jahren nicht mehr gehört.
Dann lösen wir uns voneinander, er geht in die Wohnung, ich folge ihm. Es ist hell und freundlich, wie bei den Schmölings damals. Im Flur hängt ein großes, gerahmtes Foto von Schloss Neuschwanstein, ein prächtiges Bild, aber irgendwas stimmt daran nicht. Der Hintergrund. Er ist leicht strukturiert, was trotz der Unschärfe gut zu erkennen ist. Raufasertapete.
Kuhle bemerkt meinen Blick.
»Das war ihre Abschlussarbeit, quasi«, sagt er. »Kurz danach ist sie verstorben.«
Ich kann Oma Kuhlmann vor mir sehen, wie sie fleißig Stein auf Stein schichtet und irgendwann »Fertig!« kräht.
»Na, Tim«, sagt jemand neben mir, aber ich höre es wie durch Ohropax. »Schön, dich zu sehen.«
»Sabrina.« Ihr sind die vierzig Jahre anzusehen, um die Augen herum und an der Oberlippe hat sie ausgeprägte Fältchen, und ihr Haar ist deutlich angegraut. Aber die »alte« Sabrina scheint hindurch; die Sommersprossen sind trotz der gebräunten Gesichtshaut noch zu erahnen, ihre Nase ist unverändert zierlich, ihr Gesicht markant, wenn auch fülliger als früher, und die Augenfarbe, dieses Wahnsinnsblau, zieht mich sofort wieder in den Bann. Sabrina sieht mich prüfend an.
»Du siehst großartig aus«, sagt sie.
»Du auch«, antworte ich schlapp. Sie ist alt. Älter . Aber sehr attraktiv, und je länger ich sie ansehe, desto mehr stimmt ihr altes Bild mit der neuen Sabrina überein.
»Komm rein«, bittet Kuhle.
Sie nehmen sich bei der Hand, Kuhles mächtige Pranke umfasst Sabrinas schmale, lange Finger, und ich folge den beiden ins Wohnzimmer. Der Raum ist riesig, an den weißen Wänden ragen Bücherregale bis an die fünf Meter hohe Decke, es gibt zwei große Rattansofas, eine weitere Sitzgruppe, eine mit Holzspielzeug vollgestopfte Ecke, zwei steinerne Schreibtische, auf denen schweineteure Laptops stehen, aber keinen Fernseher. Die wenigen Accessoires – eine hochbeinige Porzellankatze, eine eiserne Stehlampe, zwei großflächige Aquarelle – wirken schick, aber auch leicht unterkühlt. Es macht den Eindruck, als wäre alles für die Fotosession eines Lifestyle-Magazins arrangiert.
»Sieht ein bisschen chaotisch aus«, sagt Sabrina und kichert dabei. »Wir sind gestern erst aus der Toskana zurückgekommen.« Ich deute ein Kopfschütteln an, dabei fällt mein Blick auf etwas, das sich im Bücherregal befindet. Da sitzen zwei Marionetten, Holzfiguren, etwa vierzig Zentimeter hoch.
Spejbl und Hurvinek.
»Setz dich«, sagt Kuhle und zeigt auf eines der Sofas. »Willst du ein

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