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Geisterfahrer

Geisterfahrer

Titel: Geisterfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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Treppenhaus hat die Konsistenz von Autoabgasen, auf der Brustseite meines T-Shirts breitet sich ein großes Schweißoval aus, und Frau Stagel erzählt mir währenddessen, dass sie kaum mehr wisse, wer das Haus bewohnt. Es sei ein ständiges Kommen und Gehen, manchmal würden seltsame Gestalten Tiere im Hof schächten, mitten in der Nacht laute Musik spielen, und Schüsse hätte sie auch schon gehört, aber die Polizei habe sie am Telefon nur ausgelacht. Ich nicke fast ununterbrochen, dann zieht sie die Tür hinter sich ins Schloss, ohne mir ein Glas Wasser anzubieten oder so, zwinkert mir nur kurz zu. Ich bin klatschnass und außer Atem, gehe aber trotzdem ein Stockwerk höher. Das Klingelschild meiner ehemaligen Wohnung ist unbeschriftet, und auf mein Klopfen reagiert niemand. Ich springe leichtfüßig die Treppenstufen hinunter, die Luft draußen ist zwar etwas frischer, schmeckt aber nach Wüste. Auf dem neonfarbenen Schild an der Haustür steht, dass »mehrere Wohnungen günstig zu ver mieten« wären. Einmal Vermieter werden, das wär’s doch, denke ich grinsend und notiere mir die Nummer.
    Weil gerade ein freies Taxi vorbeifährt, was in dieser Gegend einem Wunder gleichkommt, lasse ich mich zum Hotel zurückbringen. Auf dem Weg dorthin telefoniere ich mit der Hausverwaltung, was sich schwierig gestaltet, da erst kein Mensch mit meiner Muttersprache verfügbar ist und dann, als ich endlich jemanden am Apparat habe, der mich auch versteht, derjenige nicht weiß, von welchem Objekt ich rede. Mittlerweile bin ich längst in meinem Hotelzimmer zurück. Ein Mann namens Ibrahim Müller erklärt mir gerade, dass meine ehemalige Wohnung frei sei und ich quasi heute noch einziehen könnte, Miete sei erst mal kein Problem, ein halbes Jahr ohne müsste man ja heutzutage geben in dieser Gegend, und ein paar Kleinigkeiten wären auch zu machen an der Bude, wie er die Wohnung nennt. Ich sage ihm, wo ich zu erreichen bin; er will mich morgen im Hotel aufsuchen.
    Später weckt mich Telefonklingeln. Frank wartet schon in der Lobby. Ich lasse ihn an der Bar etwas auf meine Rechnung trinken und springe erst mal unter die Dusche.
    Frank hatte damals ein Cabrio, einen Triumph, jetzt fährt er einen mausgrauen Fiat Cinquecento. Der Lack ist verkratzt, hat flächige Roststellen, die Gummidichtungen an den Scheiben sind porös, die Antenne ist verbogen und in der Mitte mit einem Heftpflaster geflickt. Das vordere Nummernschild ist mit Klingeldraht befestigt, weil die Stoßstange fehlt. Im Fußraum vor dem Beifahrersitz und auf der zerschlissenen Rückbank stapelt sich Abfall: Papiere, Verpackungen von Mini-Salamis, Coladosen, leere Zigarettenschachteln. Hunderte davon.
    »Ist mein Zweitwagen«, erklärt Frank, als er meinen Blick bemerkt.
»Besser als überhaupt kein Auto«, erwidere ich.
Frank grinst, dann fahren wir los, mit dem Auspuff stimmt auch etwas nicht, jedenfalls ist das Motorengeräusch enorm, als wäre die Karre nicht von Fiat, sondern mindestens von Ferrari, und es riecht auch im Innenraum nach Abgasen. Er zündet sich eine Zigarette an, dadurch stinkt es nicht mehr so sehr. Dafür ist es heiß wie in einer finnischen Sauna, und auch als Frank die Seitenscheiben herunterkurbelt, ändert sich nichts. Ich hätte auf das Duschen verzichten können.
»Wo fahren wir hin?«
»Prenzlauer Berg. Du wirst staunen.«
Das werde ich. Ich weiß nicht einmal, wo das ist .
Wir queren den Hermannplatz und fahren den Kottbusser Damm hoch, umrunden den Kreisverkehr am Kottbusser Tor zur Hälfte und biegen in die Adalbertstraße ein. Hier sieht es aus, als wäre seit Jahren renovierungstechnisch nichts mehr getan worden, alles ist dreckig, die Häuser sind mit Graffiti beschmiert. An den Läden befinden sich fast ausnahmslos türkische Schilder. Das Wohnhochhaus am Kotti wirkt wie eine Kaserne für Leute, die irgendwas Schlimmeres als ganz normale Verbrechen begangen haben. Hinter einem Satellitenschüsselwald starren verschmierte und gardinenlose Fenster auf einen der lautesten Plätze in ganz Berlin. Es ist deprimierend.
»Darf ich dich was fragen?«
»Klar«, sage ich. »Alles.«
»Bist du eigentlich wütend? Wenigstens zornig?«
»Was meinst du?«
»Auf deine Frau. Die Trulla in … wie hieß noch mal der Ort?«
»Nieder-Sengricht.«
Wir sind inzwischen auf der Oranienstraße. Das Bild hat sich schlagartig geändert, es wirkt aufgeräumter und fröhlicher, obwohl die Ecke zur Adalbertstraße noch im Außenspiegel zu sehen ist. Einige

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