Geisterfjord. Island-Thriller
rübertragen.«
Der gelbliche Schein der Taschenlampe erhellte Lífs Gesicht, und sie schaute verwundert von ihrer Tasche auf. »Soll das ein Witz sein, oder hast du eine Gehirnerschütterung? Ich gehe nirgendwohin.« Ihre Unterlippe zuckte wie bei einem trotzigen Kind.
»Hört auf mit dem Quatsch!«, rief Garðar und sprang auf. »Ich gehe, und ihr wartet so lange hier. Bin gleich wieder da.« Die Taschenlampe wurde schwächer und flackerte. »Das ist das einzig Sinnvolle. Je früher ich gehe, desto eher reicht die Batterie noch.«
Líf warf Katrín einen Blick zu. Katrín war sich nicht sicher, ob ihre Wangen noch von der Wanderung so gerötet waren oder ob es bei dem trüben Licht nur so aussah. Ihre Blicke trafen sich, und Líf machte einen Versöhnungsvorschlag, der ihr gar nicht ähnlich sah: »Wäre es okay für dich, wenn ich mitgehe, und du alleine hierbleibst?« Sie schaute zu dem schlafenden Hund neben Katríns Stuhl. »Mit Putti natürlich.«
Katrín öffnete den Mund und wollte schon zustimmen, änderte ihre Meinung aber sofort und klappte ihn wieder zu. Natürlich war sie froh, wenn Garðar nicht alleine ging, die beiden würden nur ganz kurz weg sein, aber Lífs Vorschlag war trotzdem nicht besser als Garðars. Líf war die Einzige, die bei beiden Alternativen die ganze Zeit Gesellschaft hätte. »Was ist, wenn was passiert?«, fragte Katrín.
»Heute kann ja wohl nicht noch mehr passieren. Du hast Glück, dass du das überlebt hast«, sagte Líf, bevor Garðar etwas einwerfen konnte. »Wenn du nicht zurückgesprungen wärst, hättest du die ganzen Steine auf den Kopf bekommen und nicht nur einen auf den Fuß.«
»Hast du irgendwelche Geräusche gehört, bevor die Steine runtergekommen sind, Kata?« Garðar hatte während des gesamten Heimwegs versucht, sie danach zu fragen, aber Katrín war nicht darauf eingegangen, weil sie zu große Angst gehabt hatte, dass er zurückgehen und das Gelände nach dem Jungen durchsuchen würde. Katrín war inzwischen davon überzeugt, dass es sich nicht um ein normales Kind aus Fleisch und Blut handelte, und wollte sich gar nicht ausmalen, was geschähe, wenn Garðar diesem Wesen oder was auch immer es war, in die Arme laufen oder von ihm in die Ruine gelockt und umgebracht würde. »Hast du vielleicht aus dem Augenwinkel eine Bewegung gesehen? Líf hat vollkommen recht, deine schnelle Reaktion hat dir das Leben gerettet. Es ist ziemlich klar, was passiert wäre, wenn du stehen geblieben wärst.«
»Ich habe den Jungen gesehen«, sagte Katrín mit unbewegtem Gesicht. Jetzt konnte sie alles erzählen, Garðar würde nicht mehr den ganzen Weg bis zur Fabrik laufen. »Ich hab nichts gehört, ich hab mich nur erschreckt und bin zurückgewichen. Er war in der Halle.«
Das musste Garðar erst mal verdauen. »Er war in der Ruine?«, fragte er und holte tief Luft. »Willst du damit sagen, dass er sich da aufhält, da wohnt?«
»Ich will gar nichts damit sagen, ich hab ihn nur gesehen. Er sah genauso aus wie sonst. Stand gebeugt ganz hinten im Dunkeln.« Katrín massierte ihr Knie, das von der unnatürlichen Schonhaltung ihres Fußes sogar beim Sitzen steif geworden war. »Er muss die Steine irgendwie runtergestoßen haben, auch wenn er gar nicht in der Nähe war.«
»Wir müssen hier weg.« Lífs Stimme wurde mit jedem Wort lauter. »Wir gehen einfach los, wie ich vorgeschlagen habe. Ich bleibe heute Nacht nicht hier!« Sie stand auf, und als ihr Stuhl über den Boden gezogen wurde und quietschte, rührte sich Putti. Er hob den Kopf, schaute sein Frauchen an und legte sich dann wieder schlafen, offenbar an solche Zwischenfälle gewöhnt.
»Ich kann nicht laufen, Líf.« Katrín bewegte vorsichtig ihren Fuß, und der Schmerz zog sich mit solcher Wucht in ihr Bein, dass sie aufheulte. Das wirkte natürlich wie gespielt, aber sie fühlte sich so beschissen, dass es ihr egal war, was Líf von ihr dachte. »Soll ich vielleicht alleine hierbleiben und warten, bis ihr Hilfe geholt habt?«, sagte sie durch zusammengebissene Zähne.
»Hört auf zu streiten.« Garðar ging zur Tür. »Ihr könnt weitermachen, wenn ich weg bin, aber ich hab keine Lust, mir das anzuhören. Außerdem ist es höchste Zeit loszugehen.« Auf der Türschwelle drehte er sich noch einmal zu ihnen um. »Ich gehe, und ihr wartet hier. Es ist zu gefährlich, wenn du alleine hierbleibst, Kata.« Er wartete nicht auf eine Antwort und verließ entschlossen das Zimmer, ohne sich noch einmal
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