Geisterfjord. Island-Thriller
hat da geredet?«
»Ich weiß es nicht«, flüsterte Katrín so leise, dass sie sich selbst kaum hören konnte. »Ich weiß es nicht.« Beim zweiten Mal klangen ihre Worte schon besser, und Katrín fasste sich ein wenig. »Was hast du verstanden?«, fragte sie und beugte sich zu Líf, ohne an ihr vorbeizuschauen, aus Angst, die Umrisse des Jungen im dunklen Hintergrund der Küche zu erkennen.
»Ma-ma-mach auf.« Tränen strömten über Lífs Wangen. Sie glitzerten und sahen aus wie Gold.
Katrín hatte dasselbe gehört. »Was sollen wir aufmachen?«, fragte sie leise, ohne mit einer Antwort zu rechnen. Wieder hörten sie die Worte hinter Líf. Katrín spürte, wie sie eine Gänsehaut bekam, und presste die Augen zu, als Líf auf den Küchentisch sank. Sie wollte nicht sehen, was hinter ihr war. Im selben Moment suchte Putti zwischen ihren Beinen Schutz, trat dabei auf ihren verletzten Fußrücken, und sie riss die Augen wieder auf. Die Flucht vor der Wirklichkeit währte nur einen Augenblick, der Schmerz war unerträglich, und Katrín stieß einen Schrei aus. Bei diesem realen, klaren Schmerz gewann ihre Vernunft wieder Oberhand. Hinter Líf war nichts zu sehen, nur das Brecheisen, das Garðar an die Wand gelehnt hatte. Katrín stand auf. »Ich gucke mal, ob da ein Loch ist, durch das geflüstert wurde.« Lífs Oberkörper lag zusammengekrümmt auf dem Tisch und zuckte. Sie sagte etwas Unverständliches, aber Katrín hatte eine Entscheidung getroffen.
Sie hüpfte mit der Kerze in der Hand auf einem Bein zu der Wand, von der das Flüstern gekommen war, und achtete dabei auf die Flamme. Es war nichts Ungewöhnliches zu sehen, aber Katrín hatte das unbestimmte Gefühl, dass etwas in ihrer Nähe war. Fast rechnete sie damit, an ihrem Hals einen warmen Atem zu spüren, aber nichts geschah. Das Einzige, was ihr auffiel, war ein unangenehmer, scharfer Geruch, ähnlich wie der, nach dem Líf gerochen hatte, als sie aus dem Obergeschoss gekommen war. Katrín ließ sich auf den Po sinken, um den Boden genauer zu betrachten. Das tat weh, und wieder gab ihr der reale Schmerz Mut. Es konnte verdammt nochmal nichts passieren, was nicht ohnehin passieren würde. Es ging nur darum, sich nicht in die Knie zwingen zu lassen und seinen Stolz nicht zu verlieren. Katrín versuchte, nicht daran zu denken, dass Garðar gerade wegen seiner Waghalsigkeit verschwunden war und Líf und sie wegen ihrer Vorsicht verschont geblieben waren.
»Himmel!« Katrín nahm ihren freien Arm vor ihr Gesicht und verbarg ihre Nase in der Armbeuge. Der Schimmel hatte sich noch mehr ausgebreitet, und das Holz unter den neuen Bodendielen war vor grünem Schleim kaum noch zu sehen.
»Was ist?« Líf hatte sich wieder aufgerichtet und auf ihrem Stuhl umgedreht. »Was ist da?«
»Ekelhafter Gestank und ekelhafter Schleim, so ähnlich wie das Zeug, das auf den Holzdielen war, weißt du noch?«, nuschelte Katrín in ihren Arm, aber Líf verstand jedes Wort. »Nur viel, viel mehr.« Katrín hielt die Kerze näher an die Stelle und sah direkt an der Wand einen kleinen Bereich, der nicht von grünem Schleim befallen war. Sie führte die Kerze mit beiden Händen so nah wie möglich heran.
»Nicht einatmen!«, rief Líf, stand auf und hielt sich die Hand vor den Mund. Putti ging zu ihr, stand wie ein Häufchen Elend neben ihr und starrte Katrín betrübt an. Er winselte einmal leise und verstummte dann.
»Wenn das Zeug gefährlich ist, bin ich sowieso längst tot. Und du auch.« Katrín kniff die Augen zusammen. »Hier ist ein Scharnier. Das ist bestimmt eine alte Falltür.« Sie drehte sich zu Líf. »Da ist was unter dem Boden. Vielleicht haben wir jetzt endlich die Erklärung für die ganzen Geräusche und Vorgänge im Haus.«
Líf sah nicht so aus, als wollte sie die Antwort wissen. »Wenn dieses Kind da unten ist, willst du es doch wohl nicht rauslassen? Bist du verrückt?« Als Katrín nicht antwortete, sondern sich nach dem Brecheisen reckte, fügte sie hinzu: »Was meinst du, warum der Mann, der hier gewohnt hat, einen neuen Boden über die Falltür gelegt hat? Er hat gewusst, dass da was Böses drunter ist. Mach nicht auf, Katrín.« Sie klang bittend, befehlend und panisch zugleich.
»Er hat das Scharnier bestimmt nicht gesehen. Ich hab es auch erst jetzt bemerkt, weil sich der Schimmel im Holz ausgebreitet und es freigelegt hat. Es ist ganz unauffällig, direkt an der Wand, könnte auch unter der alten Fußleiste versteckt gewesen sein. Und es ist
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