Geisterfjord. Island-Thriller
müssen sie schon hier gewesen sein. Oder es war Líf.«
Garðar machte ein überraschtes Gesicht. »Líf ist nicht rausgegangen. Ich hab im Zimmer neben ihr gearbeitet und musste mir die ganze Zeit ihren Lärm anhören.«
Katrín zuckte mit den Achseln. »Der Fuchs wird sie wohl kaum reingebracht haben. Oder Putti.«
»Nee, wohl kaum. Der hat den ganzen Morgen tief und fest geschlafen. Außerdem waren die Muscheln zu einem Wort gelegt, und Hunde sind meines Wissens ziemlich schlecht in Rechtschreibung.«
»Was stand denn da?«
»Tschüs.« Garðar machte umständlich seinen Anorak zu. »Es war bestimmt schon da und ist mir einfach nicht aufgefallen. Ich bin wahrscheinlich schon ganz durcheinander von dem Verdünner.«
»Tschüs?« Katrín schnitt eine Grimasse. »Na, dann solltest du aber schleunigst los!«
Sie machten sich zu dritt auf den Weg, den wenig begeisterten Putti im Schlepptau, ohne darüber zu sprechen, wohin es gehen sollte. Keiner von ihnen wollte den Hügel hinaufsteigen, aber angesichts ihres körperlichen Zustands brauchten sie das gar nicht zu erwähnen. Die Sonne stand zu dieser Jahreszeit nicht hoch am Himmel und warf lange Schatten auf die Erde. Das Knirschen der Kieselsteine auf dem Pfad war ihnen von der Plackerei mit den Vorräten am ersten Tag noch vertraut. Garðar ging ungewöhnlich langsam und schien über jeden Schritt genau nachzudenken. Beim ersten Haus blieb er stehen, angeblich um sich anzusehen, wie der Ablauf der Dachrinne konstruiert war, aber Katrín wusste, dass ihm seine wunde Ferse weh tat.
»Warum sind die Fenster zugenagelt?« Líf drückte ihr Gesicht an die Spanplatten vor dem Fenster neben der Eingangstür. Alle Fenster waren auf diese Weise versperrt worden, und es sah aus, als seien die Häuser erblindet. Die einzige Ausnahme war ihr Haus. Seine schmutzigen Fensterscheiben waren Wind und Wetter ausgesetzt gewesen, hatten aber zum Glück gehalten.
»Bestimmt, damit nichts kaputtgeht, wenn eine Fensterscheibe einbricht.« Garðar griff nach dem Rohr unter der Dachrinne und rüttelte daran.
»Warum sollten denn Scheiben einbrechen? Hier ist doch niemand.« Líf trat einen Schritt vom Haus zurück.
»Ich weiß nicht, vielleicht können sie bei heftigen Stürmen kaputtgehen. Oder wenn Vögel dagegenfliegen«, sagte Garðar selbstzufrieden, denn weder Líf noch Katrín kannten sich aus und konnten ihm widersprechen. Er musterte das senkrechte Rohr genauer und inspizierte die Befestigung.
»Das ist wirklich seltsam«, sagte Katrín und schaute über das vor ihnen liegende Dorf.
»Was, der Abfluss?«, fragte Garðar erstaunt.
»Nein, das Dorf. Wie es wohl war, an so einem kleinen, abgelegenen Ort zu wohnen? Ob sich die Leute nach dem Umzug in der Stadt eingewöhnt haben?« Sie betrachtete die Häuser. Nachdem sie am eigenen Leib erfahren hatte, wie viel Arbeit die Renovierung an einem solchen Ort bedeutete, konnte sie erst einschätzen, was andere geschafft hatten. »Wie die Leute sich wohl gefühlt haben, als sie ihre Häuser zum letzten Mal verlassen haben?«
»Wahrscheinlich schrecklich.« Garðars Stimme klang traurig. Wenn kein Wunder geschah, waren sie bald in derselben Situation wie diese Leute Mitte des letzten Jahrhunderts und waren gezwungen, zum letzten Mal die Tür hinter sich zuzuziehen. Der einzige Unterschied war der, dass Garðar und sie ihr altes Haus immer vor Augen hätten, wenn sie dort vorbeiführen, während die Leute in Hesteyri weit weggezogen und nur selten an das erinnert worden waren, was sie verloren hatten. Katrín hatte sich vorgenommen, ihr altes Viertel zu meiden, wenn es so weit wäre. Sie wollte nicht das Auto einer anderen Familie in der Einfahrt stehen sehen, andere Gardinen vor dem Küchenfenster, andere Gartenmöbel hinter dem Haus. Und sie wusste, dass es Garðar genauso ging.
Líf stellte sich neben Katrín und ließ ihren Blick über die Umgebung schweifen. »Aber was hätten sie tun sollen? Als die Fabrik geschlossen wurde, gab es keine Arbeit mehr, und es war für sie sinnlos hierzubleiben.«
Genauso wie für Garðar und sie.
Katrín sagte nichts, aber die Worte echoten in ihrem Kopf. Das Wunder, das sie brauchten, um ihr Eigentum halten zu können, würde nicht eintreffen; sie konnten froh sein, wenn sie so lange durchhielten, bis das sogenannte Schlüssel-Gesetz abgesegnet war und sie der Bank einfach die Hausschlüssel überlassen konnten, ohne die Konsequenzen tragen oder Privatinsolvenz anmelden zu müssen. Es
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