Geisterflut
worden war: Es war sehr mächtig. So mächtig, dass ihr Herz raste und sie sich zwingen musste, stehen zu bleiben und nicht wegzulaufen.
Terrible gab ihr die Tasche, und sie wühlte darin herum. Sie fand ihre Handschuhe und zog den linken an. Mit knarzenden Knien hockte sie sich neben den Sessel und hob mit der Rechten das Sitzkissen an, damit sie mit der Linken darunter herumtasten konnte. Das war ein Fehler.
Der Schmerz in ihrer Handfläche, der sie seit dem Tag ihrer Verletzung als beständiges, dumpfes Druckgefühl begleitet hatte, loderte mit einem Schlag auf. Mit einem Aufschrei ließ sie das Kissen los und und wich so ruckartig zurück, dass sie fast hingefallen wäre. Ein brennender Schmerz schoss ihr den Arm hinauf, in die Schulter und dann an der Seite wieder hinab.
»Chess? Vielleicht solltest du -«
»Alles okay.« Sie nahm den anderen Handschuh und zwang ihre Hand hinein, wobei sie sich vergebens mühte, ihre Handfläche nicht zu berühren. Schweißperlen traten ihr auf die Stirn.
»Lass mich das doch -«
»Alles okay.«
Er sagte nichts mehr. Sie spürte ihn ganz in ihrer Nähe, spürte seine Körperwärme auf ihren nackten Armen, und nach einer kurzen Pause atmete sie tief durch und versuchte es noch mal.
Der Schmerz in ihrer Hand nahm zu, als sie das Sitzkissen berührte, war aber längst nicht mehr so schneidend wie zuvor. Mit der linken Hand fuhr sie über den Stoff, dann in die Ritze auf der linken Seite, dann in die hintere Ritze ... und berührte dort etwas, das die halbfeste Konsistenz von verfaulendem Obst besaß. Ein Stechen, als würden ihr Tausende winzige Schürhaken in die Haut gerammt, begann in ihrer Hand, lief ihr den Arm hinauf und dann über den ganzen Körper. Ihr Magen wollte rebellieren, aber Chess biss die Zähne zusammen und riss den Fluchbeutel aus seinem Versteck hervor.
Augenblicklich wurde der Schmerz noch schlimmer, vor allem in der rechten Handfläche, die außerdem schlagartig feucht wurde, ob von Schweiß oder Blut, wusste Chess nicht, und sie hatte Angst hinzusehen. Diese Angst ging ihr gleichzeitig aber gewaltig gegen den Strich, und darum guckte sie doch und drehte die Hand hin und her, um durch das weißliche Latex des Handschuhs etwas zu erkennen.
Ihr entsetztes Hirn brauchte einen Augenblick, bis es begriff, was für Bilder es da geliefert bekam. Der Handschuh war von Blut rötlich angelaufen, in der Mitte aber immer noch weiß - schmutzig weiß, wie geronnene Milch ... und da zappelte etwas ... und juckte unerträglich bis tief in die Knochen ...
Etwas Kleines fiel aus dem Handschuhsaum heraus auf den Boden und zappelte dort weiter. Ein Wurm. Die Würmer waren wieder da! Ach du Scheiße, die Würmer waren wieder da, und sie schrie und versuchte sich den Handschuh herunterzureißen, während weitere Würmer aus der Wunde in ihrer Handfläche quollen und das Latex anschwellen ließen, aus dem Handschuh herauskrochen und zu Boden fielen.
Endlich löste sich der Handschuh mit einem schnalzenden Geräusch von ihrer Hand. Der Fluchbeutel lag nun inmitten der Würmer, und Chess’ Blut rann langsam darauf zu. Instinktiv stieß sie den Beutel weg, wieder durchfuhr sie ein höllischer Schmerz. Ein weiterer Schwall widerlicher Lebewesen brach aus ihrer Haut hervor, aus der klaffenden roten Wunde, die nun wie ein ekelhafter Mund aussah.
Zwei harte Hände packten sie und hoben sie empor, und Terrible schob ihr einen Arm unter den Beinen durch und hob sie auf wie ein kleines Kind. Er trug sie in die Küche, ungeachtet der Würmer, die ihr aus der Hand und ihm auf die nackte Haut fielen. Neben der Spüle setzte er sie auf den Küchentresen, drehte das Wasser auf, hielt ihre Hand unter den Strahl und setzte den Abfallzerkleinerer, der in den Abfluss der Spüle eingebaut war, in Betrieb.
»Ganz ruhig, Chess ... Nicht hinsehen. Guck an die Wand, ja? Guck einfach an die Wand.«
Er lief hastig los und war fast gleich wieder da. Der Schmerz ließ nach, und sie bekam allmählich den Kopf wieder klar, doch als sie ins Spülbecken blickte, das sich mit einem ekelhaften bräunlich-roten Wasser füllte, und darin die weißlichen Fleischfetzen sah, die sich immer noch wanden, während sie in den Abfluss gesogen wurden, stand sie kurz davor, sich zu übergeben. Dieser Abfluss hatte nie sonderlich gut funktioniert. Chess schluckte und starrte wieder an die Wand, versuchte die Bilder fortzuschieben von den wimmelnden kleinen Körpern, die aus ihrer Haut hervorbrachen.
»Sieht so
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