Geisterflut
das ganz und gar nicht nach ihr klang. Sie schmeckte Blut auf den Lippen. Das Blut war nicht von ihr; ihre Lippen waren, das spürte sie, unversehrt. Es war seins.
»Tut mir leid«, sagte sie. »Ich wollte dir nicht wehtun.«
»Macht nichts.«
»Aber...«
»Drück einfach mal ’ne Weile das Eis drauf. Und erklär mir, wie man diesen Fluch unschädlich macht.«
»Mist.« Sie lachte noch einmal schwächlich auf. »Den hab ich doch tatsächlich ganz vergessen. Ist das zu glauben?«
»Ja.«
»Also gut.« Tief durchatmen. Tief durchatmen. »Bring ihn her.«
Er guckte zweifelnd, tat es aber und legte den Beutel in sicherer Entfernung vor sie auf den Boden. Die eisige Kälte auf ihrer Handfläche machte es ihr unmöglich zu spüren, ob der Beutel auf sie einwirkte, aber sie glaubte es eigentlich nicht.
Ihren Anweisungen folgend, hebelte Terrible mithilfe der Dietriche die Beutelöffnung auseinander und leerte den Beutel aus. Chess bekam große Augen. »Das ist nicht bloß irgendein Fluch. Das ... das ist ein Todesfluch.«
Er nickte. »So was hab ich mir schon gedacht. Was mach ich jetzt?«
Eine Minute lang saß sie einfach nur da und ballte die Faust um den durchweichten Papierknäuel. Ein totes Insekt. Schwarzes Pulver. Ein Sargnagel. Ein kleiner Klumpen schwarzes Wachs, der, wie sich nach vorsichtigem Kratzen zeigte, einen Papierstreifen mit ihrem Namen drauf enthielt sowie eine lange, vom Wachs gekräuselte Strähne von ihrem Haar.
Ihr Haar. Wie zum Teufel - ach ja, klar. Jemand aus der Kirche. Jemand hatte Haare von ihr in die Finger gekriegt. Hatte sie vielleicht sogar gesammelt. Von ihren Schultern, vom Badezimmerboden oder aus ihrem Bett. Oder hatte man es vielleicht von Doyles Kopfkissen genommen, am Morgen danach? Das Allerschlimmste, was sie je getan hatte, war, sich von diesem Widerling mit seinen feuchten kleinen Händen anfassen zu lassen.
Na gut, offenkundig nicht das Allerschlimmste. Da gab es eine verdammt lange Liste. Aber es war schon ein sehr dummer Fehler gewesen, den sie nie wiederholen würde.
Terrible verzog den Mund, als die letzten Bestandteile herauspurzelten. Ein Kupfersplitter - sie presste schaudernd die Lippen zusammen, war aber nicht überrascht. Ein kleiner, lockiger Haarknäuel und ein Stofffetzen, steif von bräunlichem, getrocknetem Blut.
»Haar von einer Leiche. Menstruationsblut«, sagte sie, seine unausgesprochene Frage beantwortend. Das Blut konnte durchaus von ihr selbst stammen, aus den Vorräten der Kirche. Immerhin das hatte Doyle in ihrer gemeinsamen Nacht nicht von ihr bekommen.
Terrible schüttelte den Kopf. »Fiese Sache. Was wär passiert, wenn wir das nich gefunden hätten?«
»Ich wäre wahrscheinlich daran gestorben. Irgendwann. So ein Todesfluch braucht eine gewisse Zeit, bis er wirkt. Ein paar Wochen vielleicht. Wenn ich viel zu Hause gewesen wäre, wäre es schneller gegangen - dann hätte er mehr Zeit gehabt, auf mich einzuwirken. Aber ich war in letzter Zeit nicht viel zu Haus.«
Er nickte. »Und von wem stammt das? Irgend ’ne Ahnung?«
»Ahnungen hab ich viele. Aber keine Beweise. So was erfordert eine verdammt große Macht. Wer das hergestellt hat, hat wahrscheinlich dafür noch ein weiteres Opferritual vollzogen, und dieser Tote muss irgendwo beseitigt worden sein.« Sie bewegte die Beine und stand dann vorsichtig auf. Der Raum schien für einen Moment seitlich wegzukippen, doch das ging schnell wieder vorbei.
»Scheiße. Ich wusste ja gar nich, dass man so was mit Magie machen kann. So richtig in echt und so.«
»Es geht immer nur um die Energie«, erwiderte sie. »Allem wohnt Energie inne, weißt du? Es kommt nur darauf an, wie man sie nutzt - und ob man die Fähigkeit hat, sie zu nutzen. Und je mehr magische Macht man hat, desto größer ist diese Fähigkeit.«
»Die das hier hergestellt haben, sind also sehr mächtig.«
Sie nickte. Die Angst saß ihr in der wunden Kehle. Es machte ihr Angst, womit sie es hier zu tun hatten und dass ein Teil dieser Macht ihre Macht war, dank der bescheuerten Blutsverbindung. Ein Hybrid-Geist, der aus allerhand Bösem und Widerlichem zusammengesetzt und durch ihr eigenes Blut noch mächtiger geworden war. Und ihr blieb nichts anderes übrig, als ihn zu bekämpfen.
Apropos ... »Wie wär’s? Willst du das alles nicht in den Abfallschredder tun und dann mitkommen und eine spießige Vorstadtfamilie einschüchtern?«
Er grinste. »Bin dabei.«
Sie kamen zu spät. Im Haus der Mortons war es totenstill, und
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