Geisterflut
ob der Traumdieb andere Geister lenken könne. Wenn sie da nicht so pickepackedicht gewesen wäre ...
»Und dazu setzen sie den Traumdieb ein. Einige andere Debunker haben auch schon von ihm geträumt. Er kann in die Träume so ziemlich jedes Menschen eindringen. Irgendwann ist er dann mächtig genug, um sogar in die Träume der Ältesten einzudringen. Er laugt sie aus und zwingt sie zu schlafen. Und dann, wenn die Lamaru erst mal rausgekriegt haben, wie sie die Tore der Stadt aufbekommen ... Ich glaube, sie waren heute Nacht da unten. Haben Erkundungen angestellt. Daher die Geister auf dem Bahnsteig.«
»Die Geister laufen also frei herum, und die Kirche kann nichts unternehmen, weil alle schlafen?«
Sie nickte. Es war wirklich genial. Der ehrgeizigste Plan der Lamaru, von dem sie je gehört hatte - und der gefährlichste. Abertausende von Menschen konnten ums Leben kommen, wenn man die Geister auf diese Weise freiließ und sie still und blutgierig über die Erde strömten, während die Kirche schlief.
Selbst wenn die Kirchenleitung wach blieb, wäre es außerordentlich schwierig, sämtliche Geister wieder in die Stadt zurückzubefördern. Es hatte gute Gründe, weshalb das Fest so geregelt ablief und jede Nacht nur eine genau festgelegte Anzahl von Geistern freigelassen wurde. Es war viel zu gefährlich, sie alle gleichzeitig auf freien Fuß zu setzen. Und wie Furcht einflößend das wirken würde! Ganz zu schweigen davon, dass die Menschen angesichts eines Massenausbruchs jedes Vertrauen in die Kirche verlieren würden - genau wie damals in der Geisterwoche, da hatten sie sich auch von den alten Religionen abgewandt. »Und dann können die Lamaru die Macht an sich reißen.«
»Mist. Das klingt gar nich gut. Meinst du, die könnten das wirklich? Würden die Leute das nich merken?«
»Das ist ja das Problem. Keiner wüsste, was dahinter steckt. Es würde einfach nur aussehen wie ein Massenausbruch aus der Stadt der Ewigkeit, den die Kirche nicht unter Kontrolle bekommt. Also treten die Lamaru auf den Plan und regeln das, und das war’s dann: keine Kirche mehr.« Ihr schauderte. Diese Schweine. Die Kirche war ihre Heimat, die einzige Heimat, die sie je gehabt hatte. Diese verdammten Arschgesichter.
»Soll ich dich zur Kirche zurückbringen? Willst du denen davon erzählen?«
»Das geht nicht. Ich weiß ja immer noch nicht, wer alles daran beteiligt ist. Wenn sogar Goody Tremmell mit drinsteckt, kann ich keinem mehr trauen.«
»Also regeln wir das selber oder was? Wir schicken den Traumdieb dahin zurück, wo er hergekommen ist, und dann ist der ganze Spuk vorbei?«
»Ja. Das hoffe ich zumindest.«
»Meinst du, wir haben noch Zeit, das mit deiner Wohnung zu checken? Ich würd mich gern mal bei deinen Nachbarn umhören. Wir sollten nich riskieren, da irgendwas zu übersehen, sonst holt uns das nachher womöglich ein. Wenn's die Lamaru waren, die bei dir eingebrochen sind, könnten die immer noch in der Nähe sein und dich beobachten.«
»Das Ritual können wir sowieso erst vollziehen, wenn’s stockdunkel ist. Also gut, warum nicht.«
Der Abend lag vor ihr wie ein Hindernisparcours. So viel war noch zu tun, so viel noch vorzubereiten ... Und schließlich dann das Ritual. Das Ritual, das sie entweder töten oder retten würde, bei dem entweder der Traumdieb oder sie selbst draufgehen würde.
Sie ließ sich Terribles Vorschlag noch einmal durch den Kopf gehen. Es wäre ganz einfach, zurück zur Kirche zu gehen. Es wäre womöglich sogar ganz einfach, an Goody Tremmell vorbeizukommen und direkt beim Großältesten vorzusprechen.
Doch selbst wenn sie das tat, und selbst wenn er ihr zuhörte: Was würde dann geschehen? Er hatte Bruces Besorgnis nicht sonderlich ernst genommen, und sie hatte ihn oft genug sagen hören, dass er die Lamaru für weiter nichts als eine Bande amateurhafter Ganoven hielt.
Irgendwann könnte er sich sogar bereitfinden, ihr zu helfen. Und irgendwann könnte ihr sogar ein guter Grund einfallen, weshalb sie sich auf dem Flugplatz Chester aufgehalten und Slipknots Leiche entdeckt hatte.
Doch in der Zwischenzeit ... während sie darauf wartete, dass er sich ihre Überzeugung zu eigen machte und sie unterstützte ..., diente ihre Seele weiterhin als Futter. Und sie hatte doch schon genug Affen im Nacken, nicht wahr? Genug Erinnerungen, die ihr die Lebensfreude raubten und sie erdrückten.
Ihre Drogensucht nahm sie bereitwillig, ja sogar gern auf sich. Doch sie weigerte sich, das Gleiche
Weitere Kostenlose Bücher