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Geisterflut

Geisterflut

Titel: Geisterflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stacia Kane
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forschend an, und da erst wurde ihr klar, dass sie ihn gerade unverhohlen angestarrt hatte. Hitze schoss ihr ins Gesicht, und mit einem Mal fand sie ihre Fingernägel unglaublich faszinierend. Erst als sie hörte, wie er sich verabschiedete, schaute sie wieder auf.
    Gemeinsam gingen sie an Rego vorbei nach draußen auf die helle Straße, wobei Terrible sofort eine schnittige, schwarze Sonnenbrille aufsetzte.
    »Also wohin? Zu Hunchback? Wo steckt denn dieser Brain? Noch bei dir?«
    »Nein, er ist abgehauen.« Sie schilderte in groben Zügen ihr Gespräch mit ihm und wie er verduftet war, ehe er Näheres zu seinen Andeutungen sagen konnte. »Ich glaube, er hat womöglich die Leute gesehen, die Slipknot umgebracht haben. Vielleicht nicht den Mord selbst, aber die Mörder.«
    Terrible lehnte sich an seinen Wagen und rieb sich das Kinn. In der Sonne funkelten die Spikes an seinem Armband und die dicke Silberkette, die er am Handgelenk trug. »Ja, scheint so. Aber ich hab keine Ahnung, wo Brain sein könnte. Du?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Dann müssen wir Hunchback wohl doch einen Besuch abstatten.« Bei seinem Grinsen packte sie das kalte Grausen.

16
    »Und sie strömten in die Städte und versuchten mit ihrer
    schieren Zahl die Toten zu überwältigen, aber vergebens.«
    Das Buch der Wahrheit, »Ursprünge«, Artikel 120
    Die Reifen des Chevelle quietschten protestierend, als Terrible vor einem Lagergebäude am Hafen das Steuer nach rechts riss und zu den Klängen von »345« von den Devil Dogs in einer Staubwolke anhielt. Als er die Tür hinter sich zuknallte, wackelte der Wagen.
    »Du scheinst dir ja echt Sorgen zu machen«, sagte Chess, und als er sie anfunkelte, fügte sie schnell hinzu: »Wegen Brain, meine ich.«
    »Nein, mach ich mir nich.«
    »Und wieso bist du dann so wütend?« Sie beeilte sich, mit ihm Schritt zu halten, während er in eine Gasse links neben dem Gebäude bog.
    »Hunchback hatte seine Anweisungen«, sagte er. »Er sollte auf den Jungen aufpassen. Verstehst du, Chess? Der hat uns gesehen. Und wir wollen doch nich, dass sich das rumspricht.«
    »Er hat gesagt, er wird keinem ...«
    Doch Terrible hörte nicht mehr zu. In der Seitenmauer des Gebäudes stand eine kleine Tür einen Spaltbreit offen. Terrible riss sie auf und ging hinein, und Chess eilte hinterher.
    Sie brauchte ein wenig, um sich an die Lichtverhältnisse zu gewöhnen. Bis sie wieder gut sah, war Terrible längst in Aktion getreten: Er hielt einen kleinen Mann, bei dem es sich nur um Hunchback handeln konnte, vor einer rostigen Eisensäule mit einer Pranke am Hals in die Höhe. Chess verzog die Nase; in dem Lagerhaus stank es wie in einem Pumakäfig.
    »Wo ist Brain?«
    Hunchback hatte die Augen vor Angst weit aufgerissen. Sie waren verschiedenfarbig. Kurz blickte er zu ihr hinüber. »Weiß ich nicht.«
    Terrible stemmte ihn höher an der Säule hinauf. »Was hab ich dir gesagt, Hunchback? Hab ich dir nich gesagt: Behalt den Jungen im Blick? Hab ich dir nich gesagt: Pass gut auf ihn auf?«
    »Ja ... Aber du hast nicht gesagt, dass ich ihn nicht bestrafen darf, wenn er rausgeht zum -« Der Satz endete in einem erstickten Würgen, als Terribles Faust sich fester um Hunchbacks Kehle schloss.
    »Ihn auf die Straße zu setzen ist keine Strafe. Du hast nich auf ihn aufgepasst, hast nich getan, was man dir gesagt hat. Brauchst du eine kleine Erinnerung?«
    Er schlug Hunchback mit der Faust ins Gesicht, ehe der den Mund aufmachen konnte, und Hunchbacks Kopf wurde zur Seite geschleudert. Chess zwang sich, keinen Mucks von sich zu geben und sich nicht zu rühren, während Terrible nun anfing, Hunchback systematisch windelweich zu prügeln.
    Sie hatte schon ein oder zwei Mal die Folgen seiner Wut - und seines Pflichtbewusstseins - gesehen, wenn jemand Bump verärgert hatte oder ihm Geld schuldig geblieben war. Sie hatte ihn jedoch noch nie in Aktion gesehen. Wie leidenschaftslos er dabei vorging, als würde er an einem Schreibtisch irgendeine Büroarbeit verrichten oder in der Glotze einen nicht sonderlich spannenden Film sehen. Es machte ihr Angst. Und es raubte ihr den Atem.
    Sie war nicht die einzige Zuschauerin. Etliche mitleiderregend magere Jugendliche unbestimmbaren Geschlechts standen in ihrer Nähe und gafften, während Hunchbacks kahl geschorener Kopf unter den Schlägen hin- und herflog. Blut spritzte ihm in hohem Bogen aus dem Mund, und als es auf den Betonboden prasselte, färbte es sich in der Staubschicht schwarz.

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