Geisterflut
drei Tellern raus.
»Weil er wohl wusste, dass ich wach bin.«
»Genau wie ich.« Er schenkte ihr ein Schwerenöterlächeln, schnappte sich die beiden hoch beladenen Teller und ging ins Wohnzimmer.
»Äh, apropos ...«
»Du wirst mir jetzt sagen, dass du nicht willst, dass ich einfach so unangekündigt vorbeikomme, stimmt’s?« Er ließ sich auf dem Sofa nieder, genau in der Mitte, sodass sie, wenn sie ebenfalls aufs Sofa wollte, direkt neben ihm sitzen müsste.
»So was in der Richtung.«
»Dann entschuldige bitte. Ich wollte mit dir reden, und zwar weder am Telefon noch auf dem Gelände der Kirche.«
»Und wieso?« Sie hockte sich auf die Sofalehne. Trotz allem war sie neugierig. Sie kriegte ja sonst nie irgendwelchen Tratsch zu hören.
»Du kennst doch Bruce Wickman, oder?«
»Ich weiß, wer das ist.« Ach Mist. Es ging wahrscheinlich nur um das, was sie neulich bei dem Gespräch zwischen Bruce und dem Großältesten mit angehört hatte.
»Er sagt, in der Stadt der Ewigkeit herrscht eine fürchterliche Unruhe. Und es sei viel schlimmer als sonst nach dem Fest. Er meint, da kündigt sich irgendwas an.«
»Hat er schon mit dem Großältesten darüber gesprochen?«
Doyle nickte. »Aber der glaubt ihm wohl nicht. Bruce hat richtig Schiss. Er sagt, in seinen ganzen zehn Jahren als Verbindungsperson hätte er nicht erlebt, dass die mal so drauf waren. Er sagt, er kann kaum noch schlafen. Er sieht Dinge. Im Traum.«
Chess hob eine Augenbraue. Sie fand das interessant, beschloss aber, sich das nicht anmerken zu lassen. »Und?«
»Ich glaube, er hat Recht. Ich schlafe in letzter Zeit auch schlecht. Und Dana Wright und ein paar anderen geht es genauso.«
Dana war eine Debunker-Kollegin. Bei einer Verbindungsperson kam es schon mal vor, dass sie Schwierigkeiten mit Geistern hatten. Wenn sie nicht aufpasste, konnte es passieren, dass der Geist sie verfolgte oder sogar von ihr Besitz ergriff, wenn er sich nach einer Verbindungsaufnahme nicht wieder lösen wollte - auch ein Grund, weshalb sie ein höheres Gehalt bekamen. Bei einem Debunker wäre das allerdings ungewöhnlich ...
»Randy schiebt schon voll die Panik. Er wollte heut Nacht tatsächlich bei mir pennen, weil er angeblich so schreckliche Albträume hat. Typisch, was?«
Chess lachte, aber nicht unfreundlich. »Randy macht wohl grad nur eine schwierige Zeit durch. Vielleicht geht ihm der Job an die Nieren.«
»Und wie steht's bei dir? Hattest du in letzter Zeit vielleicht auch Schlafschwierigkeiten?« Doyle beugte sich zu ihr vor. »Du siehst müde aus.«
»Ich schlafe nie gut.«
»Aber normalerweise siehst du nicht so müde aus.«
Sie wich auf der Armlehne ein Stück vor ihm zurück, um den vorherigen Abstand wieder herzustellen. »Danke.«
»So meine ich das nicht. Es ist nur ... Bruce glaubt, dass da irgendwas vor sich geht. Wir dachten uns, wenn wir uns mit mehreren zusammentun und rausfinden, was da los ist, hätten wir vielleicht genug in der Hand, um den Großältesten wenigstens zum Zuhören zu bewegen.«
»Und ich soll dabei mithelfen.«
Er nickte.
Sie hatte nicht gelogen. Sie schlief tatsächlich nie gut und in letzter Zeit besonders schlecht. Aber sie konnte nicht sagen, ob das die normale Folge einiger sehr stressiger Tage war oder ob das andere Gründe hatte.
»Da ist noch etwas«, sagte er, wobei er die Stimme senkte und sich umsah, als glaubte er, Spione der Kirche hielten sich hinter den Möbeln versteckt. »Ich habe Albträume gehabt. Richtige Albträume. Ich hab geträumt, wie ... Nein. Wenn ich dir das erzähle, denkst du, ich wäre übergeschnappt.«
»Das denke ich jetzt schon.«
»Aber Bruce hat ihn auch gesehen. Bei sich in der Küche.«
»Wen?«
Er blickte sich noch einmal hektisch um. »Den Mann in dem Gewand«, sagte er. »Den Albtraummann.«
Verdammt, verdammt, verdammt!
Nach einer fetten Line Nip fühlte sie sich, als würde sie nun ein paar Tage lang keinen Schlaf mehr brauchen. Das änderte allerdings nichts an dem Problem, dass es ihr nicht gelungen war einzuschlafen. Ob es daran lag, was Doyle ihr erzählt hatte, oder an etwas anderem, sie wusste es nicht. Jedenfalls hatte der Schlaf sie aus der Ferne verhöhnt. Sie hatte in ihrem Bett unter einer dicken Schicht Decken gelegen und gezittert, obwohl es im Zimmer gar nicht kalt war, und hatte auf ihrer Uhr zugesehen, wie die Stunden vergingen, bis am frühen Nachmittag schließlich Sonnenschein durch das schmale Schlafzimmerfenster fiel.
Wo war Terrible
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