Geisterflut
über der Taille. Gleich oberhalb der linken Brust zeigte sich eine hellere Stelle, und während Chess hinsah, kam auch ein Gürtel in Sicht.
Der Geist öffnete die Lippen und zog eine Grimasse, dann lief er auf sie zu, langsam und mit präzisen Bewegungen. Ein weiterer folgte ihm, genauso gekleidet und mit dem gleichen Ausdruck im Gesicht. Es war nicht unbedingt Wut, sondern eher ... Entschlossenheit. Die beiden wollten etwas von ihr und zwar höchstwahrscheinlich ihren Kopf auf einem Silbertablett. Sie musste ganz schnell handeln.
Ein paar Schritte entfernt machte auch Terrible Anstalten, etwas zu tun. Sie riss die Hand in seine Richtung hoch. »Nicht!«
Doch er bewegte sich erneut, und Chess blieb keine Zeit hinzusehen, was er dort machte, denn sie scharrte hektisch in der Tasche eine Hand voll Friedhofserde zusammen. Die Erde glitt ihr über die Haut, kühl und machtvoll, doch eben als sie die Hand aus der Tasche zog, blieben die Geister stehen und sahen sie gar nicht mehr an.
Vielmehr richteten sie den Blick auf Terrible. Sie hoben gleichzeitig die rechte Hand an die Mütze, und dann verschwanden sie.
»Wie zum Teufel hast du das gemacht?«, fragte Chess.
Terrible räusperte sich und ließ die Hand wieder sinken. Er hatte den Geistern salutiert.
Terrible schlug seine Speisekarte auf und zuckte mit den Achseln, doch die Röte in seinen Wangen war noch da. »War nur so 'ne Ahnung«, sagte er noch einmal. »Ich dachte, wenn sie sehn, dass wir sie respektieren, lassen sie uns vielleicht in Ruhe.«
»Und wie bist du auf diese Ahnung gekommen?«
»Sie trugen Uniform.«
»Waren das -« Sie verstummte. Der Geist, dem sie mit Lex in dem unterirdischen Gang begegnet war, war ganz ähnlich gekleidet gewesen. »Das wusste ich nicht.«
»Bringen die euch so was nich in der Ausbildung bei?«
»Keine militärischen Sachen. Die Streitkräfte haben eigene Debunker.«
»Macht das denn einen Unterschied? Ich meine: Kannst du auch Soldatengeister austreiben?«
Sie steckte sich eine Zigarette an. »Ich schätze schon, das ist ja nichts anderes. Aber ich dürfte das nicht. Wenn man einen Geist als ehemaligen Militärangehörigen identifiziert, wird einem der Fall sofort entzogen. Wegen des Kriegsgefangenenproblems während der Geisterwoche dachten sie ... na ja, jedenfalls dürfen da nur speziell geschulte Leute ran.«
Die Kellnerin kam, um die Bestellung aufzunehmen. Sie orderten beide einen Burger mit Pommes. Draußen vor dem Lokal erwachte die Straße allmählich zum Leben: Prostituierte in hautengem Kunstfaserdress stöckelten auf und ab, Bumps Schergen hingen an den Ecken rum, und Halbstarkencliquen schlenderten umher auf der Suche nach Stunk. Downside erwachte allabendlich gegen neun und blieb in Betrieb, bis es wieder hell wurde, auch wenn die meisten Läden um elf schlossen.
»Wie lange machst du diesen Job eigentlich schon?«
»Drei Jahre, fast vier. Mit der Ausbildung hab ich vor neun Jahren angefangen - das Einstiegsalter ist fünfzehn -, und wenn man dann einundzwanzig wird, wird man eingestellt. Oder auch nicht. Einer aus meiner Klasse hat es nicht geschafft.«
»Und wie ist die Ausbildung so?«
»Äh ...« Interessierte ihn das wirklich? Er machte jedenfalls den Eindruck - trotzdem blieb sie erst mal vorsichtig. »Wie ’ne normale Schule, bloß dass es da mehr um Magie geht. Zum Beispiel welche Kräuter welche Wirkungen haben, wie man die Energie lenkt, welche Austreibungsrituale es gibt, wie man Geister beschwört - obwohl wir das allerdings nicht tun sollen. Sie veranstalten übrigens auf dem Gelände der Kirche auch regelmäßig Auffrischungs- und Fortbildungsseminare.«
»Und wieso wohnst du da nich? Ich dachte immer, ihr müsst alle in diesen Unterkünften wohnen.«
»Weil ich das nicht wollte.«
»Das geht einfach so?«
»Ja, das geht.« Sie blies Zigarettenrauch aus und gab ihre Zurückhaltung auf. »Ich hatte Schwierigkeiten, als ich noch auf dem Gelände gewohnt hab, und dann habe ich beantragt, außerhalb wohnen zu dürfen. Dieses ewige Zusammengeglucke ging mir auf den Keks. Das ist der Grund.«
»Hast du in der Geisterwoche deine Familie verloren?«
»Du nicht?«
»Ich weiß es nich. Ich denk mal, ich würd mich dran erinnern, wenn’s so wär, aber ... ich erinnere mich an keine Familie.«
»Wie alt bist du denn überhaupt?«
Er zuckte mit den Achseln. »Älter als du, aber wie alt, weiß ich nich genau. Ich kann mich noch an die Geisterwoche erinnern und an ein, zwei Jahre
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