Geisterhauch (German Edition)
besonders toll gewesen war, nur bergab gegangen. Keine Ahnung, warum. Sie war drei Jahre älter als ich und hatte jede Gelegenheit genutzt, mir diese Tatsache unter die Nase zu reiben. Während ich nur Denise als Mutter gekannt hatte – leider –, waren Gemma drei wunderbare Jahre mit unserer wirklichen Mutter vergönnt gewesen, die bei der Geburt meiner Wenigkeit gestorben war. Ich hatte schon oft überlegt, ob die Spannungen zwischen uns daher rührten. Ob Gemma mir unbewusst die Schuld am Tod unserer Mutter gab.
Die Lücke, die sie hinterließ, wurde nur ein Jahr später gefüllt, als mein Dad die Wölfin heiratete. Und Gemma fand sie sofort sympathisch. Wir dagegen hatten den Höhepunkt unserer Mutter-Tochter-Bindung erst noch vor uns. Dabei mochte ich meine Höhepunkte am liebsten ohne Stiefmutter.
Seltsamerweise war ich froh über die Störung. Mir war nicht ganz klar, worauf Dad mit seinen Fragen hinauswollte – oder ob ihm das selber so ganz klar war –, jedenfalls gab es vieles, was er noch immer nicht wusste. Und nicht zu wissen brauchte. Und nie wissen würde, solange ich es verhindern konnte. Zum Beispiel dass ich die Schnitterin war. Doch er wirkte so ratlos. Fast verzweifelt. Dabei hätte er nach zwanzig Jahren bei der Polizei eigentlich bessere Befragungstechniken draufhaben müssen. Er griff nach Strohhalmen, nach den transparenten, verdrehten, die es bei Kindergeburtstagen gab.
Im Nu hatte ich mein Sandwich verputzt, entschuldigte mich zum Ärger meines Dads und verduftete nach Hause, nicht ohne zu bemerken, dass Denise mir kein Stück von dem Käsekuchen anbot, den sie von der Bäckerei unten an der Straße mitgebracht hatte. Auf dem langen, gefahrvollen Dreißig-Sekunden-Treck zu meinem Wohnhaus, wurde mir nachträglich bewusst, dass Gemma Dads Benehmen genauso verwunderlich fand wie ich. Sie warf ihm verstohlene, neugierige Blicke zu. Vielleicht würde ich sie später anrufen und fragen, ob sie wusste, was los war. Oder ich würde mir von einer deutschen Ringerin die Bikinizone mit Wachs enthaaren lassen, was bestimmt mehr Spaß machte, als mit meiner Schwester zu telefonieren.
»Und?«, fragte Cookie, die gerade den Kopf zur Tür rausstreckte, als ich auf meine Wohnung zuging. Woher wusste sie immer, dass ich kam? Ich war absolut lautlos. Fast unsichtbar. Wie ein Ninja, bloß ohne Kopftuch.
»Mist«, zischte ich, als ich stolperte und mein Handy fallen ließ.
»Hast du mit Warren gesprochen?«
»Klar.« Ich hob das Telefon auf, dann kramte ich in meiner Tasche nach den Schlüsseln, die immer da waren, wo ich gerade nicht hinfasste.
»Und?«
»Der Mann gehört in Behandlung.«
Sie seufzte und lehnte sich an ihren Türrahmen. »Armer Kerl. Hat er wirklich den ermordeten Autohändler bedroht?«
»Im Beisein mehrerer Angestellter«, sagte ich nickend.
»Mist. Das ist nicht gut für unseren Fall.«
»Stimmt, aber das wird keine Rolle mehr spielen, wenn wir den wahren Täter schnappen.«
»Falls wir den wahren Täter schnappen.«
»Hast du irgendwas herausgefunden?«
»Tragen Cowboys Sporen?« Ihre blauen Augen funkelten im schummrigen Flurlicht.
»Ooh, klingt vielversprechend. Willst du rüberkommen?«
»Sicher. Lass mich nur schnell duschen.«
»Das muss ich auch. Ich stinke wie illegal entsorgter Ölschlick.«
»Vergiss nicht den Kaffee«, sagte sie und schloss ihre Tür.
Ich rief Mr Wong einen hastigen Gruß zu und verschwand in die Dusche. Wieder war ich dort nicht allein. Gerade als das Wasser heiß wurde, kreuzte der Kofferraumtyp auf. Ich versuchte ihn rauszuwerfen, indem ich die Füße gegen die Wand und die Hände gegen ihn stemmte, aber er rührte sich nicht vom Fleck. Ich musste unbedingt lernen, wenigstens die Verrückten zu exorzieren. Nach dem Duschen zog ich mir Trainingszeug an und setzte eine Kanne Kaffee auf. Dabei wanderten meine Gedanken immer wieder zu Rockets Schwester und ihren Äußerungen über Reyes. Der Todesbringer? Ernsthaft? Wer redete denn so?
Gerade als ich Mr Coffees Knopf drückte, hüllte mich von hinten eine glühende Hitze ein. Ich hielt inne und schwelgte einen Moment lang darin, bevor ich mich umdrehte. Reyes hatte die Hände rechts und links von mir auf die Arbeitsplatte gestützt. Ich lehnte mich dagegen und erlaubte mir den seltenen Luxus, ihn anzugaffen. Sein Mund war das Sinnlichste an ihm. So einladend. So küssenswert. Und seine braunen Augen waren so dicht von dunklen Wimpern umrahmt, dass die goldenen und grünen Sprenkel in der
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