Geisterhauch (German Edition)
angerichtet hatte. »Du hättest mich eher rufen sollen.«
»Ich wusste nicht mal, dass ich das kann. Ich hab’s einfach probiert.«
Er furchte die Stirn. »Gewöhnlich ist das nicht nötig. Ich kann deine Gefühle spüren, bevor sie dir bewusst werden.«
»Man hat mich betäubt. Ich fühlte mich ganz ausgeglichen.«
»Oh. Nächstes Mal rufst du mich eher.«
Zögernd senkte ich den Kopf.
»Was?«, fragte er.
»Neulich wurde ich mit einem Messer angegriffen, und meiner Erinnerung nach waren meine Gefühle dabei ziemlich stark. Du warst aber nicht da.«
»Glaubst du?«
Verdattert blinzelte ich ihn an. »Warst du doch?«
»Natürlich. Aber du bist prima allein zurechtgekommen.«
Ich schnaubte aufgebracht. »Da musst du bei einer anderen Charley gewesen sein, denn ich wurde beinahe abgestochen, Mister.«
»Und du bist damit fertig geworden. Ich hab’s dir ja gesagt.«
»Mir was gesagt?«
»Dass du mehr kannst, als du denkst.« Ein äußerst erotisches Grinsen verzog seine Mundwinkel, dann zog er mich an sich. »Viel mehr«, kam es noch von der Seite, als ich zu mir kam. Ich rappelte mich auf und sah mich nach Reyes um. Hatte ich das nur geträumt? Das sähe mir ähnlich. Aber die Schießerei war vorbei. »Was ist passiert?«, fragte ich Smith.
»Der Schütze ist tot«, sagte er und richtete Mr Chao langsam auf. »Und die Bullen werden gleich hier sein. Darum gehen wir jetzt.«
»Moment. Haben Sie ihn erledigt?«
Er zog seinen stöhnenden Freund auf die Füße und schlang einen Arm um dessen Oberkörper. »Nein, ich nicht.«
»Moment, was ist mit Garrett?«, sagte ich, als er Mr Chao zur Tür hinausschleppte. Draußen hielt ein SUV mit André the Giant alias Ulrich am Steuer.
»Die Bullen kommen. Wir müssen verschwinden. Drücken Sie ihm etwas auf die Wunde.«
»Danke«, sagte ich zu seinem Rücken. Als ich mich Garrett zuwandte, begriff ich, dass die Blutlache, in der ich gelegen hatte, von ihm kam. Ich suchte mir die schlimmste Wunde aus und, tja, drückte ihm etwas auf die Wunde.
16
Nationale Sarkasmus-Gesellschaft:
Als ob wir euch nötig hätten.
– Autoaufkleber
Es war spät, als ich in das Patientenzimmer schlüpfte, wo Garrett lag. Er schlief. Darum beschloss ich, mich an seinem Essenstablett zu bedienen. Ich war wegen einer Gehirnerschütterung, er mit drei Schusswunden eingeliefert worden. Er war also Sieger. Diesmal.
»Was tun Sie da?«, fragte er. Seine Stimme war belegt vom Schlaf und den Schmerzmitteln.
»Ich esse Ihr Eis«, sagte ich, den Mund voller Vanille.
»Wieso essen Sie mein Eis?«
Der konnte fragen. »Na, weil ich meines schon gegessen habe.«
Er lachte, dann krümmte er sich vor Schmerzen. Er war ewig im OP gewesen, dann im Aufwachraum, aber man hatte ihn in ein normales Zimmer verlegt, weil sein Zustand trotz des Blutverlusts nicht mehr lebensbedrohlich war. »Sind Sie hier, um mir an die Wäsche zu gehen?«, fragte er.
»Sie tragen gar keine Wäsche«, erinnerte ich ihn. »Sie tragen ein Mädchennachthemd mit eingebauter Arschbelüftung.« Ich hatte auch so ein Ding an, aber Cookie hatte mir eine Trainingshose mitgebracht, die ich darunter trug.
Mein Arzt hatte meiner Entlassung zögernd zugestimmt, nachdem er Ubie und Cookie das Versprechen abgerungen hatte, mich zwölf Stunden lang nicht schlafen zu lassen. Jetzt kümmerte er sich gerade um den Verwaltungskram. Es war zwar schon spät, aber ich hatte keinen Grund, in einem Krankenhaus herumzusitzen, wenn ich das auch zu Hause am Computer tun konnte. Wo ich Fotos von Reyes im Netz begaffen konnte.
Ich stellte den Eisbecher hin und kroch zu Garrett ins Bett. »Sie sind kein Bettdeckenräuber, oder?«
Ich spürte Reyes ganz in der Nähe. Vor allem seine Anspannung, als ich unter Garretts Decke schlüpfte. War er eifersüchtig? Auf Garrett? Ich lag rein freundschaftlich in seinem Bett. Punkt. Um ihn zu trösten und aufzumuntern.
»Ich fühle mich sehr unbehaglich«, sagte Garrett ächzend.
»Seien Sie nicht albern. Meine Anwesenheit allein ist das reinste Behagen.«
»Nicht sonderlich.«
Ich langte um seinen Kopf herum und zog ihn auf meine Schulter.
»Autsch.«
»Oh, bitte.« Ich verdrehte die Augen.
»Ich habe eine Schusswunde an der Schulter. Sie drücken dagegen.«
»Sie haben Schmerzmittel bekommen«, sagte ich und tätschelte ihm unsanft den Kopf. »Jammern Sie nicht.«
»Normales Benehmen ist bei Ihnen nicht drin, hm?«
Ich ließ laut seufzend seinen Kopf los und rutschte von ihm weg.
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