Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geisterjagd

Geisterjagd

Titel: Geisterjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
Vom Netzwerk:
mich, als du mir die Geschichten von ihr erzählt hast. Wir sind am gleichen Tag geboren, fast zur gleichen Stunde. Ihr beide habt mich Verwandtschaft gelehrt mit allem, was denkt und atmet. Durch euch habe ich diesen Sprung des Verstehens gemacht, den keiner von meinen Blutsverwandten je geschafft hat.
    Ich bin eine Verräterin und eine Spionin. Obgleich Metis mit mir schimpfte und um mich fürchtete, geisterte ich damals, als wir noch im Kinderzimmer wohnten, durch die Flure. Meine Brüder zogen nach ihrem fünften Geburtstag aus diesem Zimmer aus, doch ich tat dies lange vor ihnen, geistig, wenn nicht körperlich. Bei Nacht streifte ich durch die einsamen Korridore, bis ich durch puren Zufall die Gänge in den Wänden entdeckte. Ich wurde noch unersättlicher in meinem Spionieren. Ich hatte Freude daran, Dinge zu wissen, die meine Schwestern nicht wußten. Sie haßten mich. Sie spielten mir böse Streiche, um mich in Schwierigkeiten zu bringen. Sie haben gelogen. Und ich habe früh gelernt, daß es sinnlos war, auf meiner Unschuld zu bestehen. Deshalb vertraute ich nur Metis, weil sie mich und ich sie liebte. Sie erklärte mir viele Dinge, die ich verwirrend fand.
    Ihr Vater und Lehrer, Gyoll, kam unmittelbar nach Acthons Geburt nach Liros II, ein Rebell auf seiner Heimatwelt, ein Rebell von Geburt an, glaube ich. Vor ihm war bereits sein Vater Rebell, ein Kontraktarbeiter auf einer Welt, auf der die meisten Leute in angemessen guten Verhältnissen lebten, jedoch keinerlei Freiheiten hatten. Bevor der Vater starb, unterrichtete er den Sohn gut, lehrte ihn, den Verstand zu gebrauchen und zu kämpfen und wie man andere zu wirksamer Tat organisierte und mit geringer Kraft große Veränderungen erzwingen konnte. Gyoll, der Sohn, wurde gleich seinem Vater verurteilt und mit anderen als Kontraktarbeiter verkauft.
    Wie sein Vater ihn gelehrt hatte, lehrte Gyoll seine Kinder zuerst lesen und schreiben, dann die Lehren seines Vaters, dann, daß sie eins waren mit allen lebenden Dingen und diesen Respekt und Rücksicht schuldeten, daß sie weder Zeit noch Energie mit Haß oder Zorn verschwenden, sondern sich daranmachen sollten, die Dinge zu ver
    ändern. Er weinte über den Leichen seiner toten Kinder und kämpfte leidenschaftlich für jene, die lebten. Und all diese Dinge hat Metis wiederum mich gelehrt.
    Ich raffte meine Geheimnisse an mich und fühlte mich meinen Schwestern unendlich überlegen - meinen Schwestern, die ich von Herzen so wenig liebte wie sie mich … und natürlich machte ich wenig Hehl aus meiner Überlegenheit: Sie stand in meinen Augen, meinem Gesicht geschrieben, in meiner Haltung, selbst in der Art, wie meine Zöpfe vom Kopf abstanden. Aber das machte mein Leben nicht leichter. Es war mir gleichgültig. Für mich war Metis meine Familie, Metis und ihre Brüder und Schwestern, besonders die Kleine Schwester. Ich liebte sie mit einer Leidenschaft, die so groß war wie der Haß, den ich meinen Blutsverwandten entgegenbrachte. Vor meiner Stiefmutter hatte ich einen widerwilligen Respekt, denn sie rief auch meine Schwestern zur Ordnung, brachte ein gewisses Maß an Ruhe in das hier vorherrschende Chaos und gab mir diesen Raum, in dem ich schreibe. Sie war keine hübsche Frau, jedoch eine stattliche Erscheinung. Ich glaube, selbst mein Vater brachte ihr eine ziemliche Ehrfurcht entgegen. Ihre Bestrafungen waren streng, jedoch immer fair, und wenn dahinter Liebe zu finden gewesen wäre, hätte ich lernen können, sie zu lieben. Doch Pflichtgefühl ist kalt, und das war alles, was sie für mich hatte.
    Auf meinen Streifzügen und in meinen geheimen Gedanken lehnte ich meine Blutsverwandten ab und legte immer mehr Distanz zwischen mich und sie. Ohne zu begreifen, daß ich genausosehr ein Teil der Tejed war wie mein Vater, begann ich, den Luxus um mich her mit den Augen einer Außenstehenden zu sehen. Ich wurde zornig. So zornig. Außer mit Metis habe ich mit niemandem mehr geredet, sogar der Stiefmutter habe ich nur mehr einsilbig geantwortet.
    Lilit legte die Schreibfeder nieder, schloß das Buch und seufzte. Es war spät. Draußen war der Sturm verebbt, und die Wolken rissen auseinander, bis der Hifnmel voller Sterne strahlte und jenseits des Lichtkegels ihrer Schreiblampe das Fensterviereck in die Schatten auf dem Teppich zeichnete. Sie rieb sich die brennenden Augen und sah mit schwacher Überraschung, daß ihre Hände zitterten. Die Leere und Stille im Raum bedrückten sie.
    Lilit biß fest auf ihre

Weitere Kostenlose Bücher