Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geisterjagd

Geisterjagd

Titel: Geisterjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
Vom Netzwerk:
liebte und respektierte. Und wenn Liebe einen Grund braucht, so hatte er diesen. Bei all dem, was ich über Acthon schimpfe und sooft ich auch mit ihm streite: Er hat viele Gaben Vaters geerbt, und mit Gyolls Hilfe hat er sie geschärft. Gyoll hat die ihm angeborenen Fähigkeiten erkannt und trainiert und durch die Kraft von Liebe und Vorbild einen Menschenführer aus ihm gemacht. Blinder Mann, mein Vater, wenn er nur sehen könnte
    er hat seine legalen Söhne korrumpiert und ruiniert, da er sie weder liebte noch lehrte, irgend etwas über ihr eigenes Blut hinaus zu schätzen. In der Pflicht hat er sie streng geschult, doch der größte Teil dieser Pflicht bestand darin, das Liros-System in den Händen der Kalyen-Linien zu bewahren. War dies bedroht, so konnten alle anderen Pflichten mißachtet werden. Sie waren nicht die Sorte Menschen, ihm gegenüberzutreten und, wenn nicht seine Liebe, so doch seinen Respekt zu fordern. Blinder Mann, wie konnte er von ihnen erwarten, sie würden Liebe geben, wo sie doch niemals welche erhalten haben. Pflicht gegenüber dem Blut - und deshalb hat er mich an eine Kröte verkauft. Pflicht gegenüber dem Blut!
    Sechs Monate nachdem ich mich in der tiefen Höhle mit Gyoll und Acthon getroffen und unsere Unternehmung zu planen begonnen hatte, rief mich Vater in die Bibliothek.
    Ich kannte die Bibliothek genausogut wie mein Turmzimmer, doch hatte ich mich bisher niemals gemeinsam mit meinem Vater darin aufgehalten. Manchmal habe ich mich gefragt, ob er die Bücher wohl je vermißt hat, die ich für Metis und mich selbst gestohlen hatte. Er hat nie etwas darüber verlauten lassen, und ich habe sie alle zurückgebracht (bis auf dieses Buch hier, in das ich hineinschreibe. Komisch … vielleicht wird auch das eines Tages zurückgebracht werden, um vergessen auf einem jener Regale zu stehen …?) An all dies habe ich bedacht, bevor ich die Tür öffnete und hineinund ihm gegenübertrat. Vater stand an der Glaswand und schaute auf die Falsche Aussicht hinaus, die man auch jenseits der Speisezimmer sehen konnte.
    „Lilit.”
    „Vater.” Ihre Stimme war sanft und ruhig, und sie freute sich dar
    über. Nach ihrem ersten schnellen Blick auf ihn behielt sie die Augen zu Boden gesenkt.
    Er sprach nicht gleich. Sie wollte ihn ansehen, wollte sehen, was die Ankündigung zurückhielt, die er ihr, wie sie wußte, zu machen hatte. Doch war diese Situation zu prekär für unüberlegtes Handeln.
    Demütig und sanft, bescheiden und töricht, erinnerte sie sich und behielt ihren Blick fest auf den polierten Parkettboden vor den Zehenspitzen gerichtet.
    „Wie alt bist du?”
    Trotz ihrer Entschlossenheit blickte sie hoch und sah einen Blick auf sich gerichtet. Hastig senkte sie den Kopf wieder. „Neunzehn, Vater”, erwiderte sie und gab sich Mühe, sowohl Schärfe wie auch Furcht aus ihrer Stimme fernzuhalten.
    „Neunzehn.” Ärger vibrierte in seiner Stimme. Sie hörte das Scharren seiner Hauspantoffeln auf dem Parkettboden, zwang sich jedoch zu einem gewissen Maß an Ruhe.
    Abermals entstand ein langgezogenes Schweigen. Schließlich sprach er wieder, mit abgehackten, schnellen Worten, als zwinge er sich, sie zu äußern und wünsche, sie wären bereits gesagt. „Es ist schon längst an der Zeit, daß du verheiratet wirst. Ich habe dies arrangiert - auf Cazarit wirst du Lanten-Tej von Aretas zur Frau gegeben. Du hast sechs Monate Zeit, dich auf die Hochzeit vorzubereiten. Was brauchst du? Näherinnen, Stoffe, Schmuck?”
    Nun war Lilit an der Reihe, stumm dazustehen. Sie dehnte die Stille aus, so weit sie dies wagte, innerlich lächelnd, als ihr normalerweise gelassener Vater nervös im Zimmer umhermarschierte. Er weiß zuviel über Lanten, dachte sie. Es gefällt ihm nicht, mich in diesen Haushalt zu verkaufen. Röste, verdammter, Kalyen-Tej, mein Vater, röste in deinen stinkenden Notwendigkeiten. Sie biß sich auf die Lippe und zwang sich, langsamer zu atmen. Sie konnte das Zukken neben ihrem Auge spüren, doch es gab nichts, was sie dagegen tun konnte. Gleich darauf hob sie den Kopf, als sie ihren Vater herumwirbeln, als sie seine trotz der Pantoffeln harten Schritte hörte.
    „Ich werde sechs Meter schwerer weißer Seide benötigen, silbernen Einlegezwirn und Silberperlen, mindestens einen Liter Naturperlen und einen weiteren an Mondsteinen für das äußere Gewand.” Sie war selbst ziemlich überrascht, wie sanft und glatt die Worte von ihren Lippen fielen und über die zunehmende Ruhe in

Weitere Kostenlose Bücher