Geisterjagd
auf einmal lagen die Dinge anders. Das Leben hatte eine neue Würze bekommen, und im Augenblick hätte ihn nichts vom Büro fernhalten können. Wenn auch aus keinem rationalen, ersichtlichen Grund. Hätte er sich zurückgelehnt und eine Analyse erstellt, hätte er höchstwahrscheinlich von dem »virtuellen« Büro daheim genauso effektiv gearbeitet und ebenso viel erreicht wie von dem realen Arbeitsplatz am anderen Ende der Stadt, und die eingesparte Anfahrtszeit zum Booten des Computers nutzen können … aber dann hätte er eine Menge verpasst. »Berufszufriedenheit«, hätte Malcolm diese Einstellung genannt. Philip wusste nur, dass er das Stimmungshoch des vergangenen Tages so lange wie möglich auskosten wollte, und das ging nur, wenn er sich mitten im Geschehen befand; er wollte lieber von der kollektiven Energie und Dynamik gespeist werden und obendrein seinen Teil dazu beitragen, als lediglich an den Rändern zu nippen.
Außerdem gab es noch mehr Gründe, um ins Büro zu gehen. Die jüngste Variante von verfälschtem Syntheaven war ausgereift, sollte später am Tag getestet werden, und sie setzten hohe Erwartungen in diese Modifikation.
Dann musste er noch einen Anruf tätigen, und in diesem speziellen Fall sähe es wesentlich besser aus, wenn dieser Anruf von seinem Büro aus erfolgte – die richtige Präsentation war vielleicht nicht alles, aber Äußerlichkeiten zählten nun mal, und er wollte unbedingt den Eindruck vermeiden, dass es sich um ein zwangloses oder ein freundschaftliches Gespräch handelte.
»Philip, schön, Sie zu sehen.«
»Hallo, Geoffrey. Danke, dass Sie sich die Zeit nehmen, mit mir zu reden.«
Geoffrey Hamilton war über zehn Jahre älter als Philip, allerdings sah man es ihm nicht an. Er besaß den jugendlichen Elan und den sommers wie winters leicht gebräunten Teint, der Politikern und anderen Personen des öffentlichen Lebens zu eigen ist. Philip hatte ihn noch nie anders als tipptopp frisiert gesehen, jede einzelne Strähne seines dunkelblonden Haars lag an ihrem Platz, egal, wie früh oder wie spät es sein mochte. Als regierender globaler Präsident und Mitglied der erweiterten, sternenumspannenden Regierung war er außerdem nominell die mächtigste Einzelperson auf Homeworld, wenn man von Vertretern kommerzieller Interessen einmal absah.
»Mach ich doch gern; für Sie bin ich immer zu sprechen, Philip.«
Das war totaler Blödsinn, und beide wussten es. Aber Philip war auch klar, dass er als einer seiner wichtigsten Unterstützer und obendrein Direktor von Kaufman Industries sehr schwer zu ignorieren war.
»Wie sicher ist das Signal?«, erkundigte er sich.
Der Präsident lächelte. »So sicher, wie es nur irgend geht, jedenfalls behaupten das meine Leute.«
Philip hatte das gewusst, aber er war erpicht darauf, vor Hamilton den Ernst der Unterredung zu unterstreichen. »Gut. Ich möchte Ihnen jetzt ein paar Bilder rüberschicken, mit Ihrer Erlaubnis.« Auch ohne, das ist mir völlig egal »Nur zu. Verraten Sie mir, was ich sehen werde?«
»Klar. Die The Noise Within. Wir haben ihre Identität gelüftet«, erwidert Philip lässig, als das vertraute Bild vor Hamilton in der Luft auftauchte.
»Tatsächlich? Wurde auch langsam Zeit, dass jemand in dieser Hinsicht Fortschritte erzielt, aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass Sie derjenige sein würden …«
Die Stimme des Präsidenten ebbte ab, als das Bild anfing zu rotieren und dabei seine Aufbauten verlor, wie bei der Darbietung am Tag zuvor.
»Was Sie sehen, ist The Sun Seeker«, erläuterte Philip, sobald das Schauspiel zu Ende war und ehe Hamilton durch eine Frage seine Unwissenheit eingestehen konnte.
Einen Moment lang schaute der Präsident verständnislos drein, aber dann schien ihm nach und nach ein Licht aufzugehen. Sein Blick flackerte zwischen dem Bild und Philip hin und her. »The Sun Seeker? Dieses alte Experiment aus der Zeit des Krieges? Wollen Sie damit sagen, dass diese leidige Angelegenheit mit der The Noise Within Ihre verdammte Schuld ist?«
»Wohl kaum«, widersprach Philip, der diese Reaktion einkalkuliert hatte. »Damals war ich noch nicht einmal geboren, und Kaufman Industries führte lediglich einen Regierungsauftrag aus. Wenn überhaupt jemand schuld ist, dann doch eher Sie oder genauer gesagt Ihre Vorgänger.« Er kannte den Mann gut genug, um in diesem Ton mit ihm sprechen zu können, und nahm auch kein Blatt vor den Mund. Seinem Gefühl nach schätzte Hamilton ein offenes Wort –
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