Geisterlicht: Roman (German Edition)
aus dem Fenster und konnte außer einem verschwommenen Fleck, bei dem es sich ebenso gut um einen Nebelfetzen oder ein Stück Plastikfolie handeln konnte, das der Sturm vor sich hertrieb, nichts mehr erkennen. Irritiert schüttelte er den Kopf und setzte sich ebenfalls wieder.
»Ich scheine tatsächlich ziemlich übermüdet zu sein. Oder mit meinen Augen stimmt etwas nicht. Vorhin auf der Treppe dachte ich auch schon …« Er stockte, weil es ihm albern vorkam, Fiona von der grauen Gestalt zu erzählen, die er vor einer halben Stunde hier in der Burg zu sehen gedacht hatte. Er glaubte ja schließlich nicht an Gespenster.
»Du solltest dich wieder schlafen legen, und ich mache mich auf den Weg nach Hause.« Offenbar gehörte Fiona zu jenen dickköpfigen Frauen, die stets an ihren Plänen festhielten, ganz gleich, wie unvernünftig diese auch waren, und wie sehr man auch versuchte, sie ihnen auszureden.
»Du gehst da nicht raus!« Aidan war klar, dass er sich wie ein Macho anhörte, der meinte, er habe einer Frau allein durch sein Mannsein etwas zu sagen. Dabei repräsentierte er nur die Stimme der Vernunft.
»Was fällt dir ein, Aidan?! Ich mache, was ich will, und jetzt fahre ich nach Hause«, erwiderte sie prompt und war schon auf dem Weg zur Tür.
Mit zwei oder drei großen Schritten holte er sie ein und packte ihren Arm. »Da draußen herrscht Sturm, und es fliegt alles Mögliche durch die Gegend«, erklärte er ihr in einem Ton, der sich sogar in seinen eigenen Ohren herablassend anhörte, obwohl er beabsichtigt hatte, geduldig zu klingen.
»Ich muss aber nach Hause!«
Aus nächster Nähe erkannte er in ihren grünen Augen viel weniger Eigensinn als Angst und Unsicherheit. »Warum denn so plötzlich?«, fragte er ruhig.
Sie schnappte nach Luft, öffnete den Mund und schloss ihn wieder, ohne ihm geantwortet zu haben.
Wartend schaute er sie an. Unter seinen Fingern spürte er durch den Ärmel ihrer Bluse die Wärme ihrer Haut. Fühlte das seltsame Kribbeln, das von ihrem Körper in seinen wanderte, ihn durchlief wie eine sanfte Welle und für einen Moment seinen klaren Verstand umnebelte. Er atmete tief durch und sah sie weiterhin stumm an.
»Ich kann nicht hierbleiben«, stieß sie schließlich hervor.
»Natürlich kannst du! Sollte es bis heute Abend nicht besser werden, gibt es ungefähr ein Dutzend freie Schlafzimmer. Es gibt genug zu essen und zu trinken, und einen sichereren Ort als Sinclair Castle wirst du bei diesem Sturm nicht finden. Ist dir schon mal die Größe der Sandsteinquader aufgefallen, aus denen die Burg gebaut ist?« Er versuchte sich an einem scherzhaften Ton und einem unverbindlichen Lächeln, doch beides misslang ihm gründlich.
Fiona sah ihn mit ernster Miene an und schüttelte den Kopf, und plötzlich begriff er, dass sie ebenso wie er ahnte, was zwischen ihnen geschehen würde, wenn sie wirklich über Nacht blieb. Auch sie wusste, dass schon seit ihrer ersten Begegnung die Zeit für sie beide reif gewesen war. Doch sie wollte nicht, dass es passierte, ihre Angst war zu groß. Auch wenn gleichzeitig in ihren Augen eine verzehrende Sehnsucht stand.
Zögernd löste er seine Hände von ihrem Arm. »Du weißt, dass ich dich begleiten muss, wenn du wirklich gehst«, stellte er ruhig fest.
»Das musst du nicht, denn ich bin erwachsen und für mich selbst verantwortlich. Aber ich weiß, dass du es tun wirst.« Nun war ihre Stimme klar und ruhig.
Stumm wandte Fiona sich der Tür zu, öffnete sie und ging die Treppe hinunter.
Ebenso wortlos folgte Aidan ihr.
Während Fiona die schmale Turmtreppe hinunterstieg, spürte sie Aidans Atem in ihrem Nacken, fühlte seinen Blick und seine Nähe. Und auf jeder Stufe, die sie abwärts führte, kämpfte sie gegen den Wunsch, sich umzudrehen und sich in seine Arme zu werfen. Denn genau das durfte sie nicht! Dawn, ihre kleine Schwester, die sie gerade erst wiederhatte, würde es ihr nie verzeihen, wenn sie ihr den Mann wegnahm, nach dem sie sich so sehr sehnte. Aber auch um ihrer selbst willen musste Fiona sich von Aidan fernhalten. Denn sie wusste ja von Catrionas Fluch. Aidan würde ihre Liebe nie erwidern können. Ebenso wenig wie er Dawn lieben konnte, bevor sie einen Weg gefunden hatten, ihn von dem Fluch zu befreien.
Wenigstens hatte Catriona die Burg wieder verlassen, so dass sie, Fiona, nun auch gehen und sich vor ihren Gefühlen und der Sehnsucht, die sie zu überwältigen drohte, in Sicherheit bringen konnte. Unten in der Halle
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