Geisterlicht: Roman (German Edition)
wandte sie sich Aidan zu.
»Es gibt doch bestimmt ein Taxiunternehmen im Dorf?«
»Es gibt ein Taxi«, gab Aidan widerwillig zu. »Der Wagen gehört dem alten Jack Galbraith. Dieses sogenannte Taxi ist mehr als 20 Jahre alt und springt bei Regen, Schnee und Hitze meistens nicht an. Außerdem trinkt Jack schon zum Frühstück Whisky und hört meistens ab mittags sein Telefon nicht mehr, weil er so tief schläft. Und falls er doch wach ist und den Anruf beantwortet, sollte man sich lieber nicht von ihm durch die Gegend kutschieren lassen. Erst recht nicht bei Sturm. Doch da das Auto ohnehin bei Regen nicht fährt …« Aidan zuckte mit den Schultern und grinste.
»Das glaubst du doch selbst nicht!« Fiona starrte ihn drohend an, als könnte sie ihn auf diese Weise dazu bringen, seine Behauptungen über Jack Galbraith zurücknehmen. Was Aidan natürlich nicht tun würde. Vielleicht stimmte das ja auch, was er ihr erzählt hatte. Mittlerweile hielt sie in dieser abgelegenen Gegend alles für möglich. Zumal sie inzwischen sogar an Hexen glaubte und ziemlich sicher war, selbst eine zu sein.
»Du kannst es ja ausprobieren.« Auf seine unnachahmliche Art zog Aidan die Brauen hoch.
»Ich brauche ohnehin kein Taxi. Das Auto steht ja nur ein paar Schritte die Straße hinunter.« Sie hörte selbst, dass sie nicht sonderlich überzeugend klang.
»Na gut. Suchen wir uns passende Regenmäntel.« Schwungvoll öffnete Aidan die Tür eines Wandschranks, der sich neben der Eingangstür befand und offenbar seit Jahrhunderten als Garderobe diente. An mehreren Metallstangen hingen zahllose Mäntel und Jacken, die unmöglich nur der letzten Generation der MacNaughtons gehört haben konnten. Dazwischen baumelten Regenschirme in allen nur erdenklichen Farben an teilweise seltsam geformten Griffen, und auf dem Boden standen unzählige Schuhe, Leder- und Gummistiefel.
Der Schrank war begehbar und so groß, dass Fiona von der Tür aus seine Rückwand nicht erkennen konnte. Er wurde von einer trüben Glühbirne erleuchtet, und ein muffiger Kellergeruch durchwehte ihn.
»Ein Regenmantel ist keine schlechte Idee«, stellte sie kühl fest. »Ich werde mir einen ausleihen. Du braucht allerdings keinen, denn wie ich schon sagte: Ich gehe allein.«
»Und wie ich schon sagte: Ich werde dich keinesfalls allein hinaus in den Sturm marschieren lassen.«
Als Fiona den Schrank betrat, folgte Aidan ihr und griff nach dem nächstbesten Regenmantel. Er war grün mit bunten Blumen.
»Das ist ein Frauenmantel! Der passt dir nicht.« Sie riss ihm das Ding aus der Hand und schlüpfte selbst hinein. Jedenfalls versuchte sie es, denn es stellte sich heraus, dass dieses heitere Kleidungsstück offenbar einmal einem Kind gehört hatte.
Gelassen nahm Aidan ihr den Mantel aus der Hand, hängte ihn zurück auf den Bügel und reichte ihr einen anderen. Dieser war dunkelgrau und passte ihr wie angegossen.
»Jetzt siehst du ein bisschen aus wie die Gestalt, die wir vorhin auf der Straße gesehen haben«, stellte er fest, während er nach einem Regenmantel für sich suchte.
»Da war keine Gestalt«, behauptete Fiona erneut und spürte, wie ihre Lippen sich verkrampften. Sie hasste es, zu lügen.
Aidan schwieg und hielt prüfend einen langen schwarzen Regenmantel vor sich in die Luft. Im selben Augenblick heulte der Sturm auf, als wäre er durch ein offen stehendes Fenster ins Haus gedrungen. Gleichzeitig krachte die Tür zur Halle zu, und draußen fiel etwas laut klirrend auf den Fliesenboden.
Fiona wandte sich Aidan zu, der immer noch mit dem Mantel in den Händen dastand. Über ihnen flackerte die Glühbirne zwei oder drei Mal. Dann wurde es stockfinster.
»Ich will hier raus«, hörte Fiona sich in kläglichem Ton sagen. »Mach die Tür auf, Aidan!« Die Finsternis, die sie umgab, war so pechschwarz, dass sie absolut nichts sehen konnte. Weder Aidan noch irgendeinen Schatten, einen Umriss, einen Lichtstrahl. Sie stand bewegungslos da und wagte nicht, sich zu rühren. Dann hörte sie das Rascheln von Stoffen und vorsichtige Schritte und hoffte inständig, dass es Aidan war, der sich nur wenige Meter von ihr durch die Dunkelheit bewegte.
»Ich bin an der Tür«, verkündete dieser tatsächlich einen Augenblick später mit ruhiger Stimme.
»Dann mach sie auf!«, drängte Fiona. »Hoffentlich brennt in der Halle noch Licht.«
Sie hörte, wie er die Klinke bewegte. Dann klirrte es erneut, ganz ähnlich wie zuvor, nur dieses Mal auf ihrer Seite der
Weitere Kostenlose Bücher